Warum Theologen einen Taxiführerschein machen sollten

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Gespräch mit dem deutschen Muslim Abdullah Borek, der bereits 1956 mit 20 Jahren Muslim wurde, über den organisierten Islam, die Etablierung der Islamischen Theologie an deutschen Universitäten, die Megalomanie der ‚revolutionären Reformtheologen‘ und warum Theologen auch einen Taxiführerschein machen sollten.

Abedullah Borek: "Noch hat auch niemand den Begriff “unabhängiger Muslim” und dessen Qualifikation definiert."

Abedullah Borek: „Noch hat auch niemand den Begriff “unabhängiger Muslim” und dessen Qualifikation definiert.“

Herr Abdullah Borek, Sie waren 20 Jahre alt als Sie 1956 Muslim wurden. Sie engagieren sich für die Belange der Muslime von Anfang an, u.a. waren Sie Vorsitzender der Deutschen Muslim-Liga. Wie beobachten Sie als jemand, der die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte mitverfolgt, die Etablierung der Islamischen Theologie an Universitäten und den damit verbundenen Islamischen Religionsunterricht, der an immer mehr Schulen angeboten werden soll? Haben sich die langen Bemühungen der Muslime gelohnt, wenn wir uns jetzt das Ergebnis anschauen?

Abdullah Borek: Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, weil sich die Erwartungshaltungen auf allen Seiten im Laufe der Zeit stark verändert haben. Zu Anfang gab es keine besonderen Erwartungen, wohl aber die Hoffnung überall dort, wo Muslime lebten, eine Moschee oder wenigstens einen Gebetsraum zu haben. An islamischen Religionsunterricht hat damals (ich meine die Zeit vor Ankunft der Gastarbeiter aus islamischen Ländern und dann deren Familien) niemand gedacht, weil es kaum muslimische Kinder gab.

Es wäre naiv zu vermuten, dass der Etablierung der Islamischen Theologie an Universitäten und dem damit verbundenen Islamischen Religionsunterricht, der an immer mehr Schulen seitens des deutschen Staates angeboten wird, altruistische Motive zugrunde liegen. Im Zusammenhang mit dem zwar immer wieder bestrittenen Generalverdacht gegen Muslime als potentielle Terroristen und der Unterstellung, dass in den von Moscheen betriebenen Koranschulen schon Kinder entsprechend indoktriniert würden, will man dem durch einen islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen entgegentreten.

Selbstverständlich haben sich die Muslime und deren Verbände um die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen jahrelang bemüht. Diese Bemühungen haben sich gelohnt allerdings im Lichte der obigen Ausführungen.

Wenn es um die christliche Theologie geht, wird auf die Einhaltung religionsverfassungsrechtlichen Vorgaben geachtet, im Falle der Muslime haben manche das Gefühl, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Hier geht es aber um ein sensibles Thema und hier wird die Basis gelegt, auf der zukünftig Religionslehrer und auch Imame ausgebildet werden, die eben in den Moscheegemeinden arbeiten sollen. Was wäre da Ihr Rat an die Vertreter eben dieser weit mehr als 2000 Moscheegemeinden? Man hat manchmal das Gefühl, dass bei dem einen oder anderen Verbandsvertreter Standhaftigkeit fehlt, auf die Einhaltung der religionsverfassungsrechtlichen Vorgaben zu pochen…

Borek: Man darf nicht außer Acht, dass der Rechtsstatus der mit Körperschaftsrechten ausgestatteten Religionsgemeinschaften ein anderer ist als der der muslimischen Verbände. Rechtlich gesehen sind sie nur Vereine wie Sportvereine oder Kegelclubs. Tatsächlich nimmt der Staat sie de facto als Religionsgemeinschaften wahr. Das ist jedoch ein Status der leider nicht eingefordert werden kann. Das liegt in erster Linie daran, dass die von den Muslimen gewählte Organisationsform nicht den Erforder-nissen des Religionsverfassungsgesetz entspricht. Deswegen bringt es nicht viel, wenn Verbandsvertreter auf die Einhaltung der religionsverfassungsrechtlichen Vorgaben pochen.

Die Frage stellt sich, ob das Religionsverfassungsgesetz noch den Erfordernissen von heute entspricht, weil es den Religionsgemeinschaften bestimmte Organisations-formen, die sich an den Kirchen orientieren, vorgibt. Hier erscheint eine Novellierung dringend erforderlich.

Derzeit werden Philosphen und Wissenschaftler aus anderen Fächern als Professoren für islamische Theologie berufen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Borek: Diese Entwicklung ist bedauerlich und nicht zielführend. Wenn es darum geht die Studierenden für eine spätere Tätigkeit als islamische Religionslehrer bzw. Imame auszubilden, dann müssen entsprechende Fachleute aus den verschiedenen klassischen islamischen Disziplinen her. Leider gibt es diese nicht, die auch der deutschen Sprache auf akademischen Niveau mächtig sind. Man müsste sie “importieren” und über Zeitverträge (mit Übersetzern) anstellen bis es in Deutschland qualifizierte Universitätslehrer gibt. Für den Staat ergäbe sich dadurch aber ein Dilemma: Die direkte “Kontrolle” würde ihm entgleiten.

Welche Qualifikation müsste Ihrer Meinung nach ein muslimischer Theologe bringen? Wie sieht diese Qualifikation in islamischen Ländern wie Bahrein aus?

Borek: Die notwendige Qualifikation richtet sich nach der Aufgabe des Theologen (akademischer oder schulischer Bereich). Im akademischen Bereich sollte er durch ein ca. vierjähriges Studium an einem Scheriatskolleg qualifiziert sein und sich ggf. auf einen Masterstudiumgang vorbreiten. Um als muslimischer Religionslehrer an einer Schule (insbesondere Grundschule) tätig zu sein, bedarf es analog zu katholischen oder evangelischen Religionslehrern keines Volltheologen. Grundkennt-nisse der arabischen Sprache sind hilfreich. Kenntnisse der Koranrezitation sind wünschenswert aber keine Bedingung.

In Saudi Arabien wird nur von einem Imam/Khatib ein theologisches Vollstudium verlangt, wenn er die Freitagspredigt hält. In Bahrain liegt die Verwaltung von Moscheen und die Anstellung von Imamen und Mu’adhins (Gebetsrufern) beim Ministerium für Justiz und Islamische Angelegenheiten. Dort gibt es je eine Abteilung für Sunniten und Schi’iten. Die schi’itischen Theologen/Prediger studieren entweder im Irak oder im Iran (Qum). Details sind mir allerdings nicht bekannt.

Bei den Sunniten bewirbt man sich als Imam oder Mu’adhin beim Ministerium und stellt sich einer Eignungsprüfung, die im Al Fatih Islamischen Zentrum (in dem ich tätig war) erfolgt. Es wird geprüft: der Gebetsruf (stimmlich) sowie die auswendige Beherrschung des 30. Teils des Korans (Sure 78 – 114 dschus ‘aama plus Sure 1 [Al Fatiha]) und dessen Rezitation. Dazu kommt ein allgemeines Grundwissen, z.B. die 5 Säulen und die 6 Glaubensstücke, rituelle Reinheit, Speisege- und verbote usw. usf. Wo und wie dieses Wissen erworben wurde steht nicht im Vordergrund. Die Imame/Prediger in den großen Moscheen sind entweder im Schuldienst (auch Universität), als Richter tätig oder arbeiten im Ministerium für Justiz und Islamische Angelegenheiten und haben sämtlich ein abgeschlossenes Hochschulstudium (oft auch ein Doktorat) vorzuweisen. Das Grundstudium (Islam) erfolgte in der Regel in Ägypten (Azhar), im Irak oder Syrien.

An dem Fall Khorchide in Münster scheiden sich momentan die Geister. Auf der einen Seite wird durch die Mainstreammedien die Islamische Theologie in Deutschland auf die Person Khorchide reduziert und das Bild kreiert: auf der einen Seite der ‚liberale Reformer‘ Khorchide, auf der anderen Seite die konservativen, ewiggestrigen Radikalen. Sie haben lange in Bahrein gelebt, sind der arabischen Sprache mächtig und sind seit 2006 auch als Imam der DML tätig. Was ist Ihre Meinung zur ‚revolutionären Reformtheolgie‘ des Soziologen Khorchide?

Borek: Ich bedauere, dass sich bei Mouhannad Khorchide die Vorstellung des Islams als einer akademischen Spielwiese aufdrängt. Es ist nach meinem Empfinden doch zumindest vermessen sich als “revolutionärer Reformtheologe” zu gerieren gepaart mit der Ambition den Islam ausgerechnet von Deutschland aus reformieren zu wollen. Da ist schon etwas Megalomanie und Selbüberschätzung im Spiel. Die Muslime mussten sich über mehrere Jahre mit Bassam Tibi und seinem “Euro-Islam” auseinandersetzen und jetzt das!

Bekanntlich genießen in Deutschland Professoren, Ärzte und Juristen traditionell ein hohes gesellschaftliches Ansehen. Unter Hinweis auf “Freiheit der Wissenschaft und Lehre” kommt es bei diesem Personenkreis (und natürlich auch anderen) gelegentlich zu intellektuellen Verwerfungen wie in diesem Fall. Damit müssen wir eben leben. Mit Sicherheit steht und fällt der Islam in Deutschland nicht mit Mouhannad Khorchide und dem Institut an der Universität Münster.

Das Gutachten des KRM kritisiert nicht nur die Methodik des Soziologen Khorchides, sondern auch dass er “ ideologisch begründete Selektion der göttlichen Botschaft“ vornimmt. Unterstützen Sie als Imam der Deutschen Muslim-Liga  das Gutachten des KRM?

Borek: Ich kann dazu nur meine eigene Meinung beitragen und nicht offiziell für die Deutsche Muslim-Liga sprechen, da ich kein Vorstandsmitglied bin. Das Gutachten des KRM verstehe ich und stimme zu, dass Khorchide selektiv aus dem Koran zitiert und zwar auf eine Weise, die seine vorgefasste Meinung stützt.

Andererseits vernebelt ein solch umfängliches Dokument, dessen Inhalt sich eigentlich nur einem Fachpublikum erschließt, das eigentliche Problem. In Münster wie auch in den anderen Zentren sollen islamische Religionslehrer und auch Imame ausgebildet werden. Diese werden nur dann von der muslimischen Community akzeptiert werden, wenn sie auf dem Boden der herkömmlich definierten Orthodoxie stehen und zwar so wie sie von den Betroffenen wahrgenommen wird. Für einen “Reformislam” ist das nicht der richtige Ort. In dieser Hinsicht wird Khorchide der ihm übertragenen Aufgabe anscheinend nicht gerecht. Der Einwand, die Lehrinhalte müssten sich ja nicht mit den in seinen Büchern vertretenen Thesen decken, ist wenig überzeugend.

Entwicklungen dieser Art müssen kritisch begleitet werden, nicht zuletzt um das Entstehen eines wie auch immer gearteten Staatsislams im Zuge der universitären Ausbildung zu verhindern und dem weltanschaulich neutralen Staat, der durch die Universitäten agiert, seine Grenzen im theologischen Bereich aufzuzeigen und jede Politisierung der Theologie durch die Hintertür zu verhindern.

Hinter den Kulissen hört man die Gerüchte, die Universität Münster und die Politik spiele mit dem Gedanken, den Standort Münster ohne den Koordinationsrat der Muslime fortzuführen. Also eine Theologie ohne Bindung an die Moscheegemeinden, stattdessen ein sog. Beirat mit ‚unabhängigen Muslimen‘. Was würde das für die Theologie bedeuten, die an solch einem Standort gelehrt werden würde?

Borek: Das kann die Universität Münster im Zusammenspiel mit “der Politik” natürlich machen, denn die Mitwirkung des KRM ist ja keine ‘condition sine qua non’, zumal der KRM keine juristische Person ist und deswegen dagegen gar nicht klagen könnte. Noch hat auch niemand den Begriff “unabhängiger Muslim” und dessen Qualifikation definiert. Die akademische Theologie findet an den Universitäten statt, dagegen beschäftigen sich die Moscheegemeinden mit der Praxis. Die Lebenserfahrung zeigt, dass die Mitglieder des KRM sich untereinander entzweien würden und die Universität Münster und Mouhannad Khorchide die “lachenden” Dritten wären.

Welche Konsequenzen müsste der KRM und die muslimische Basis daraus ziehen, dass ohne die Einbindung der Moscheegemeinden eine Theologie an staatlichen Universitäten etabliert wird? Es scheint, dass derzeit Fakten geschaffen werden und die Muslime als „Statisten“ mitziehen müssen. Müssen die Muslime da wirklich mitziehen?

Borek: Die Muslime könnten eine Verweigerungshaltung einnehmen und die Verbände ihre Mitglieder vor der Einstellung von Absolventen aus Münster warnen. Ggf. sollten Absolventen aus Münster von einem durch die Verbände berufenem Gremium überprüft werden. Eine derartige Blockadehaltung könnte sich aber auch gegen die Verbände wenden. Meine Empfehlung wäre konstruktiv zu reagieren – suaviter in modo, fortiter in re. Schließlich wollen die Muslime islamische Religionslehrer und auch hier ausgebildete Imame, die mit dem gesellschaftlichen Umfeld in Deutschland vertraut sind.

Die Kirchen haben neben den Lehrstühlen an den staatlichen Universitäten zahlreiche private Einrichtungen wie Hochschulen, Akademien usw. Müssten die Muslime nicht allmählich damit beginnen, ihre eigenen Strukturen aufzubauen?

Borek: Daran hätten die Muslime schon längst denken müssen. Es sagt sich natürlich leichter als getan. Der KRM hat keine regelmäßigen Einnahmen um derartige Projekte finanzieren zu können und vor allem besitzt er auch (noch) nicht die Voraussetzungen um eine staatliche Erlaubnis zum Betreiben solcher Einrichtungen zu erlangen. Ich könnte mir vorstellen, dass eine gemeinnützige Stiftung ein geeigneter Träger wäre.

Sie zählen ja „zur alten Schule“ des Islam in Deutschland. Könnten Sie zum Abschluss den vielen muslimischen Studierenden bestimmte Empfehlungen mit auf dem Weg ihrer theologischen Laufbahn geben?

Borek: Ich möchte den Enthusiasmus der Studierenden keinesfalls dämpfen. Unter ihnen gibt es viel Talent, vor allem unter den weiblichen Studierenden. Es ist wichtig, dass das Kopftuchverbot für Lehrerinnen zu Fall gebracht wird, damit sie ins Lehramt einsteigen können. Der islamische Religionsunterricht ist schon da und damit auch der Bedarf an Lehrkräften. Kritischer sehe ich die Aussichten für Imame. Solange z.B. DITIB Imame aus der Türkei entsendet, die neuerdings einen deutschen Sprachkursus absolvieren, wird sich das Jobangebot in Grenzen halten. Für die kleineren Moscheegemeinden ist ein Vollzeit-Imam finanziell kaum zu verkraften. Ich entsinne mich der Empfehlung an Theologiestudenten auf jeden Fall einen Taxiführerschein zu erwerben um auf diese Weise ein ausreichendes Einkommen zu generieren.

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