Vortreten! Eintreten!

Der Wert von Freiheit lässt sich nicht direkt messen. Und doch ist Freiheit die beste Voraussetzung, um in einer unsicheren Welt zu bestehen. Ein Plädoyer.

Als Journalist sitze ich immer wieder in Diskussionsrunden, in denen die Überlegenheit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung infrage gestellt wird. Die Bekämpfung von Corona, Klimawandel und anderer großer Krisen sei bei autoritären Systemen besser aufgehoben, heißt es dann. Auch Manager globaler Konzerne positionieren sich in solchen Diskussionen leider nicht immer eindeutig. Am liebsten wäre mir dann, ich hätte den eindeutigen Beweis dafür, dass die parlamentarische Demokratie in jeder Hinsicht überlegen ist. Am besten wäre es, eine einzige Zahl zur Hand zu haben.

Die gibt es leider nicht. Die Versuche liberaler Ökonomen wie Milton Friedmann, den Wert von Freiheit zu taxieren, mündete oft in Rankings. Sieht man allerdings diese Rankings durch, fällt auf: Staaten mit einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie und hoher persönlicher Freiheit korrelieren stark mit den Ländern, die ihrer Bevölkerung einen hohen Wohlstand ermöglichen und eine hohe Innovationsrate aufweisen. Eine Korrelation ist eine Korrelation, aus ihr lässt sich kein kausaler Zusammenhang ableiten – aber gibt es ihn vielleicht dennoch?

Auf der Suche lohnt es sich, zu einem Klassiker der Sozialwissenschaften zu greifen. 1961, Deutschland ist noch in der Wirtschaftswundereuphorie, schreibt der Soziologe Ralf Dahrendorf: „Es gibt in der menschlichen Gesellschaft nichts Beharrendes, weil es nichts Gewisses gibt. Im Konflikt liegt daher der schöpferische Kern aller Gesellschaft und die Chance zur Freiheit.“ Die politischen Institutionen einer parlamentarischen Demokratie, die Gewaltenteilung, die Pressefreiheit und die soziale Marktwirtschaft sind in diesem Verständnis ein unglaublich effizientes Mittel, um gesellschaftliche Konflikte zu lösen, weil sie den „Entwurf ins Offene“, so ein Wort Dahrendorfs, ermöglichen. Wir würden heute wohl eher „Innovation“ sagen. Die brauchen wir dringend, denn an Wandel und Konflikten mangelt es nicht in den kommenden Jahren. Ganz besonders gilt das für die Bewältigung des Klimawandels mit potenziellen Konfliktfeldern nicht nur zwischen Ökonomie und Ökologie, sondern auch zwischen den Generationen.

Doch Freiheit zu behalten, ist keine Selbstverständlichkeit. Sie war es nicht während des Kalten Kriegs und ist es heute noch viel weniger. Das zeigt der Krieg Russlands in der Ukraine. Er ist ein brachialer Angriff auf die dortigen Freiheitsbestrebungen, aber zugleich auch eine Drohung an andere post-sowjetischen Länder. Uns ruft dieses Vorgehen eines autoritären Systems in Erinnerung, dass Freiheit im Zweifelsfall verteidigt werden muss. Sich nicht erpressbar zu machen, ist Teil der Verteidigungsstrategie. Dabei hilft zweifelsfrei technologische Souveränität oder noch besser: ein deutlicher Technologievorsprung.

Ganz besonders gilt das für die Elektro- und Digitaltechnik: Sie ermöglicht nicht nur größere Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern, sondern ist in einer hochtechnisierten und automatisierten Welt auch das Faustpfand einer Volkswirtschaft. Sie macht Deutschland als Partner für demokratisch verfasste Staaten auf der Südhalbkugel attraktiv und kann die Basis für eine verstärkte Zusammenarbeit mit Ländern in Afrika darstellen, die immer stärker in Abhängigkeit zu China geraten oder aktuell von Russland besonders umgarnt werden. Fairer wirtschaftlicher Austausch, zum allseitigen Vorteil, ist hierfür die beste Strategie. Als ressourcenarmes Land brauchen wir zuverlässige Beziehungen – Autonomie oder gar Autarkie sind keine Optionen.

Zugleich ist wichtig, dass wir uns für die freiheitlich-demokratische Ordnung als das langfristig überlegene Gesellschaftsmodell – siehe unseren Indikator – stark machen. Führungskräften in global tätigen Unternehmen kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Doch für alle gesellschaftlichen Eliten heißt es mehr denn je: Tretet ein für die Freiheit!

Veröffentlich in ampere – dem Magazin der Elektroindustrie, Ausgabe 4.2022

Hinterlasse einen Kommentar