Frühlingserwachen – eine Ode an die Unvernunft

 

Ganz zaghaft stecken die Schneeglöckchen und Krokusse ihre Köpfe durch die Erde und halten Ausschau nach der Sonne. Genau wie wir. Wir lechzen nach jedem bisschen Licht und Wärme und schütteln die frostigen Tage einfach so ab.

Aber der Frühling ist mehr als nur eine Jahreszeit.Er ist ein Versprechen. Eine Verheißung und wir erliegen ihr jedes Jahr aufs Neue. Kaum zieht er dem Winter die Schneedecke weg, schälen wir uns aus den Daunenjacken und langen Unterhosen.

Der Frühling ist ein Befreiungskampf. Alles Alte und Lästige wird weggeworfen und wir recken unsere Köpfe der Sonne entgegen und unser Herz gleich mit.

Ich erinnere mich in diesen Tagen des Frühlingserwachens an meinen letzten Frühling. Ist er wirklich schon ein Jahr her?

Anyway. Der Winter war lang und hart. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass die Welt auch farbig sein kann und neben den fluchenden Menschen, die übers Eis schlittern, auch Vögel zwitschern.

Die Natur belehrt uns selbstverständlich eines Besseren. Jedes Jahr aufs Neue. Nur vergessen wir das sehr gern. Ich war also auch nahezu verblüfft, dass es urplötzlich, vollkommen überraschend, wieder früher hell wurde und die Sonne uns wärmte und durch den Tag begleitete.

In der Luft lag der Duft nach Veränderung und ich habe ihn gierig eingeatmet. Dieses Jahr wollte ich Nägel mit Köpfen machen. Frühjahresputz einmal ganz anders. Von Frühjahrsmüdigkeit keine Spur. Ich wollte mutig sein und die pralle Frucht des Lebens kosten.

Erst ein halbes Jahr getrennt und in der Schweiz noch nicht wirklich angekommen, musste ich mich auf die Hilfe von PM verlassen, um meinen Frühling gemeinsam mit einer Gefährtin zu entdecken. Dabei ging es weniger um Liebe sondern vielmehr um eine kleine Exkursion und vor allem um etwas Neues. Ich war bis dato immer viel zu anständig und ich war es leid. Bevor ich also 30 werden sollte, wollte ich es endlich einmal krachen lassen und all das tun, wonach mir der Sinn stand. Was bot sich da mehr an als der Frühling, der bekannt ist für Frühlingsmüdigkeit, dem Erwachen der Triebe, der Rückkehr der Lust…

Wer des Öfteren durch die Seiten von PM wandert, weiß wie schwer es ist, dort auf jemanden zu treffen, der einen anspricht. Sowohl optisch als auch inhaltlich. Dann stosse ich tatsächlich auf ein Profil, das vor Sarkasmus nur so triefte und mir zynisch entgegen lachte. Ein Klick auf die Bilder brachte dann leider die Ernüchterung – eine Femme. Da ich selbst eine bin, suchte ich doch eher nach etwas Androgynem…Also weiter. Vorerst, denn die Dame ließ mich nicht so einfach gehen. Mit einer machoiden Art, die ihresgleichen sucht und mir bei einer Frau noch nie untergekommen ist, machte sie mir unmissverständlich den Hof und nur drei Tage später trafen wir uns am Oltener Bahnhof. Romantischer geht es kaum, oder?

Sie stöckelte auf ihren High Heels neben mir her und war doch noch kleiner als ich. Da Olten nichts, aber auch gar nichts zu bieten hat, landeten wir in irgendeiner Bar, die skuriller nicht hätte sein könnte. Aber sie passte zur Situation. Da sass ich also mit einer Frau, die zwar wunderschön, aber so gar nicht mein Typ war und philosophierte mit ihr über alles, was wichtig und nichtig ist. Irgendwann verlor sie ihre Selbstsicherheit und ich begann, warum auch immer, auf Teufel komm raus mit ihr zu flirten. Das ging soweit, dass die arme Frau von einem Bein auf das andere trat und sich am Ende nicht recht zu verabschieden wusste.

Mit einem breiten Lächeln im Gesicht und dem Wissen, dass mein Frühling nun beginnen konnte, fuhr ich nach Hause. Bereits am nächsten Tag stand sie vor meiner Tür, eine Flasche Wein in der Hand und wir begannen das, was ich bis heute mein eigenes Erwachen nenne. Wir öffneten dem Frühling und unserer Lust Tür und Tor und sprangen übermütig in die Fülle dessen, was uns geboten wurde.

Wir waren beide nicht verliebt, wollten keine Beziehung und einfach leben. Das haben wir getan. Mit allem was dazu gehört. Trunken vor Lust, gaben wir uns einander hin. Gierig atmeten wir den Duft der Anderen, gönnten uns jeden Genuss, der verfügbar schien… Es gab keine Eifersuchtsdramen, keine Familienplanung, keine gemeinsame Wohnung und keine Verpflichtungen.

Wie ein frisch angelegter Garten, sprossen die Blüten aus uns empor und wir tollten zwischen ihnen umher wie kleine, übermütige Kinder. Voller Blütenstaub ließen wir uns ins Gras sinken und fielen, wieder einmal, übereinander her. Ich konnte nicht fassen, wie nah und befreit zwei Menschen zusammen sein können.

Aus Wochenendausflügen wurden wunderbare Ferien, die nach mehr schmeckten. Wie das Salz auf unserer Haut nach dem Schwimmen…Die Sonne erhitzte uns und aus dem Frühlingserwachen wurde ein Sommertraum. Wir genossen jede Sekunde…

Wir sahen die Wucht der Natur explodieren, nahmen all das in uns auf und pflückten einen Wiesenstrauss nach dem anderen.

Doch wie jede andere Jahreszeit auch, endeten sowohl Frühling als auch Sommer. Mit den ersten Blättern am Baum, verfärbten sich auch unsere Gemüter und Gefühle. Die Bäume wurden kahl und unsere Beziehung, die nie eine werden sollte, wurde es auch.

Der Frühling erwachte, der Sommer kam und im Herbst war alles vorbei. Und dennoch. Ich würde es jedes Jahr wieder machen. Mich vom Frühling und seiner Pracht locken lassen. Ich will ihn plündern. Aber irgendwann würde ich gern alle Jahreszeiten erleben. Mehrfach…

Festhalten kannst du den Frühling nicht,
aber ihn plündern.
Christian Friedrich Hebbel, (1813 – 1863), deutscher Dramatiker und Lyriker

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