Mordsmusik: Die „Narcocultura“, der Lifestyle der Drogengangs, ist in der Popkultur angekommen

Es reicht nicht, sich Villen mit Raubtiergehegen und Betten aus Dollarbündeln zu bauen, Privatarmeen zu befehligen, Journalisten, Richter und Politiker einzuschüchtern. Ein mexikanischer Drogenschmuggler, der auf sich hält, braucht auch seinen eigenen Song. Ein Loblied auf seine Gewalttaten. Einen Narcocorrido. „Mit einer AK-47 und einer Bazooka auf der Schulter/ mach ich dich einen Kopf kürzer/ wenn du meinen Weg kreuzt/ ich bin verrückt und liebe es, meine Feinde abzuknallen“. So lautet „Sanguinarios del M1“ ein Narcocorrido-Hit der Band Buknas de Culiacan.

  Tausende Fans skandieren solche Zeilen zur typischen Norteño-Musik von Akkordeon, Tuba und Polkarhythmus. Und der besungene Kartellboss? Avanciert zum bewunderten Volkshelden. Die Wurzeln dieses mexikanischen Pendants zum Gangster-Rap reichen weit zurück. An die europäische Heldenballade angelehnte Corridos glorifizierten bereits die Helden der Revolution von 1910 und Rebellen wie Pancho Villa und Emiliano Zapata. Mit der Immigration Hunderttausender Mexikaner in die Vereinigten Staaten und dem aufblühenden Drogenhandel kamen neue Sujets hinzu. 1974 nahm die kalifornische Norteño-Band Los Pinguinos del Norteeinen folgenreichen Song auf: „Contrabando y Traición“, Schmuggelware und Verrat.

  Die Geschichte von der Drogenschmugglerin, die ihren Gangster-Partner des Geldes wegen umbrachte, schlug auf beiden Seiten der US-mexikanischen Grenze ein, inspirierte Filmemacher und wurde zur Blaupause aller späteren Narcocorridos. Die antiautoritäre Tradition des Corrido hatte ihre Robin-Hood-Figuren gefunden.

  Seit der damalige mexikanische Präsident Felipe Calderón 2006 den Drogenkartellen den Krieg erklärte, verschärfte sich der Ton hinter den fröhlichen Walzer- und Polka-Weisen. Die Sänger wechselten in die erste Person, prahlten von der Folterung, Enthauptung und Zerstückelung der Feinde. Musiker wie Edgar Quintero, Bandleader von Buknas de Culiacan, erklärten, ihre Songs „spiegeln lediglich den Horror des Drogenkriegs“. Der Popularität der Narcocorridos tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil: Sie erzielten Millionen Youtube-Klicks und verkauften sich auf CD viele Hunderttausend Mal. Oft handelte es sich dabei um Auftragsarbeiten. Kartellbosse bestellten und bezahlten bei populären Sängern Songs, die sie, ihre Organisation und ihre Produkte verherrlichen. Oder sie engagierten sie gleich für ein Privatkonzert. Wer wollte das ausschlagen?

  Doch rivalisierende Kartelle haben längst diejenigen ins Visier genommen, welche die „falsche“ Seite preisen. Den Sänger Valentín Elizdale erwischte 2006 eine Kugel. Er hatte angeblich abfällig über das Zeta-Kartell gesungen. Und Narcocorrido-Schlagerstar Chalino Sánchez wurde Opfer gleich mehrerer Anschläge. Beim ersten, 1992, zückte er auf der Bühne seine Waffe und erschoss den Attentäter im Publikum. Ein paar Monate später zog er zu spät. Nachdem 2012 die Gruppe La Quinta Banda, die von „Lynchkommandos mit eisernen Nerven“ sang, auf der Bühne niedergemäht wurde, haben mehrere mexikanische Bundesstaaten Narcocorridos aus dem Radio und den Konzertsälen verbannt. Und doch bleibt das Genre lukrativ. „Nach einem erfolgreichen Drogen-Coup“, erklärt Elijah Wald, Autor eines Buches über die Narcocorrido-Kultur, „bestellt ein Schmuggler als Erstes einen Corrido.“

JONATHAN FISCHER

Süddeutsche Zeitung, 28.2.2015

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.