Kahlschlag am Kanal während Brutzeit

Artenschutzfachliche Begutachtung bringt nichts

Erste Brut schon flügge

Alle Hoffnung, dass der Ornithologe belegte Nester oder gar streng geschützte Fledermäuse in Baumhöhlen findet und den fünf Linden am Paul-Lincke-Ufer/Lausitzer Straße noch ein Gnadensommer bewilligt wird, hat sich gestern zerschlagen.

Ohnehin war’s nur BügerInnen-Engagement zu danken sowie der Tatsache, dass der Vorhabenträger, die BWB, Mitglied des Mediationsforums „Zukunft Landwehrkanal“ sind, dass überhaupt eine artenschutzrechtliche Begutachtung erfolgt ist. Sonst wird in aller Regel im Verstoß gegen die eindeutige Auflage des Bundesnaturschutzgesetzes § 39 ohne ein solches Gutachten gefällt, und zwar, wie schon wiederholt berichtet, allen Ernstes mit Begründungenvom Kaliber, man habe keinen Bezirkshubsteiger.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Artenschutz als Spleen?

Und das ist beleibe nicht nur in Xhain so, sondern ziemlich allbezirkliche Übung. Wenn wir dagegen protestieren, wird treuherzig versichert, die „Baumpflege“-Firmen seien per Leistungsbeschreibung selbstverständlich gehalten, beim Entdecken von Nestern Schnitt- und Fällarbeiten sofort einzustellen. Ob sie Endoskope vorweisen müssen, wissen wir nicht, verfügen leider auch über keinerlei Daten, in wie viel Prozent der Fälle ein solcher Abbruch tatsächlich vorkam bzw. ob überhaupt jemals. − Von der mangelnden Qualifikation ganz abgesehen, muss der Interessenkonflikt wohl nicht näher erläutert werden.

Oder es wird behauptet, Sachkundige aus der Verwaltung würden mit auf die Hebebühne der Fällfirma klettern.

AnwohnerInnen und BaL-Leute hatten gehofft, dass ein Meisennest, das sie ganz gegen die „Nestbaurichtlinie“ der Meisen in kaum einem Meter Höhe in einer Baumhöhle entdeckten, die verplante Maßnahme ein weiteres Mal aufschieben könnte, insofern es doch nicht möglich sei, die Abwasserdruckleitung auszutauschen, wenn einer der vier Bäume, die deswegen fallen müssen, erst mal stehen bleiben muss. (Die fünfte Linde ist inzwischen wegen der Vergrößerung des Auslaufbauwerks gefallen.) Sie haben das Ein- und Ausfliegen der Eltern auf Video festgehalten −, doch die Jungvögel müssen schon flügge geworden und ausgeflogen sein: das Nest war leer, versicherte der Ornithologe. Als Ersatz empfahl er das Anbringen eines Nistkastens in sicherer Entfernung von Lärm und Störungen durch das Baugeschehen.(!)

Brachiale Vorgehensweise

Sein Herangehen an die Aufgabe musste allerdings einigermaßen befremden. Um bessere Sicht zu haben, wurde von der Hebebühne aus vom Führer der Kettensäge so mancher arm- oder beindicke Starkast abgeschnitten, so dass angesichts des Widersinns, zum Schutz eventuell vorhandener Niststätten sich den Weg zu ihnen frei zu holzen, manche lautstark Protest erhoben und sogar Anzeige erstatten wollten. Zwei Polizisten waren ja vor Ort. „Aber die Bäume werden doch sowieso gefällt!“ rief der Ornithologe verwundert. Hätte sich tatsächlich ein wegen des Sichtschutzes übersehenes, benutztes Nest dahinter gefunden, wäre es auf diese Weise z. B. für Greifvögel freigelegt worden.

Auch keine Fledermäuse

Der Baum, in dem sich eine theoretisch von Fledermäusen als Wochenstube nutzbare Höhle befand, wurde in ihrer Nähe scheibenweise abgesetzt, bis durch den Mulm hindurch der Hohlraum geöffnet und eingesehen werden konnte. Wären tatsächlich Fledermäuse (alle Arten sind streng geschützt!) angetroffen worden, hätte die Schnittfläche des Hochstamms mit einem Deckel verschlossen werden und die Fällung warten müssen. Die noch flugunfähigen Jungtiere stellen sich tot und lassen sich angeblich mitten durchsägen. − Aber auch bei Fledermäusen leider Fehlanzeige. Ob Entomologisches überhaupt eine Rolle spielte, wissen wir nicht.

Es ist besser morgen zu sterben als heute (Madagassisches Sprichwort)

Vielleicht klingt das alles sehr sentimental, aber es wäre u. E. nur gerecht gewesen, wenn die Verzögerung der Planung und die mangelnde Koordination der Bauausführung mit der Vegetationsperiode, die in Berlin ja eh einen Monat weniger und nur bis 31. August dauert, sowie nicht zuletzt die völlig unzureichende Beteiligung oder schiere Information der AnwohnerInnen auf diese Weise ein wenig „kompensiert“ worden wäre.

Fatales Signal des Immergleichen

Es setzt einfach ein falsches Signal, wenn man sich nach sechs Jahren Mediation nicht nur über die Bedenken von BürgerInnen, sondern auch von Fachleuten hinwegsetzt, nachdem schon eine ganze Reihe „Verfahrensfehler“ unterlaufen sind. Gerade in der Abstimmung von Baumaßnahmen mit Anforderungen von Umwelt- und Stadtnaturschutz sollte ein Hauptagens partizipativer Planung bestehen!

Vielleicht überlebt der siebte der jüngeren Straßenbäume

Immerhin aber soll nun versucht werden, auch den siebten, noch relativ jungen Straßenbaum Lausitzer/Reichenberger Straße in der Nähe des Regenüberlaufbauwerks zu erhalten, den die AnwohnerInnen schon in eigener Regie umzupflanzen angeboten hatten. Aufgeregt war morgens noch nach einem Ersatzstandort gesucht worden.

Da es momentan, wo alles im Saft steht, für solch eine Verpflanzung jedoch eine denkbar ungünstige Zeit ist und das Risiko für ein Vertrocknen der für die Wasseraufnahme unerlässlichen Haarwurzeln hoch, kamen Bürger- BaL– und Mediationsforumsvertreter mit den Bauleitern von BWB und ausführender Firma überein, dass besondere Behutsamkeit an den Tag gelegt wird, wenn die Spundwände für die Startgrube eingepresst werden. Die äußeren Wurzeln auf der westlichen Seite werden mit Sicherheit beschädigt, aber da es sich um eine noch junge Linde handelt, kommt sie hoffentlich damit klar, kann eventuelle Infektionen abschotten und den Versorgungsausfall durch rasche Neubildung wettmachen. Ob das Umsetzen jetzt im Spätfrühling − mit Ausgraben, Transport und Einpflanzen − höhere Überlebenschancen für die Linde bedeutet hätte, bleibt, wie gesagt, dahingestellt.

Angesichts des Protests von Bürger- und PolitikerInnen hat sich das den Kanalaustausch durchführende Unternehmen (angeblich ohne Nachtragsforderung und auf eigenes Risiko) statt der konventionellen offenen Trogbauweise zur technisch anspruchsvolleren und hier zudem recht heiklen geschlossenen Tunnelvortriebsvariante mit nur zwei großen Baugruben entschlossen. Vielleicht begründeter Anlass zur Hoffnung, dass die Mitarbeiter auch in diesem Zusammenhang in punkto Baumschutz ihr Bestes tun.

Im Übrigen ist es nicht nur aus ästhetischen Gründen sehr wichtig, dass die hässlich klaffende Lücke in der Uferallee des Landwehrkanal möglichst bald wieder verschwindet, doch abgesehen von der Zeit, die das in Anspruch nimmt, werden die Bedingungen für ausreichende Pflanzgruben durch die Baumaßnahmen nicht besser bzw. sollte dieser Aspekt bei der Ausführungsplanung schon jetzt berücksichtigt werden.

3 Kommentare

  1. Sabine said,

    28. Mai, 2013 um 15:38

    Traurig. Man fragt sich wirklich, was das Bundesnaturschutzgesetz überhaupt in der Praxis wert ist.

    Trotzdem toll, dass die Wasserbetriebe überzeugt werden konnten.

    Sogar die auflagenstarke Zeitung mit den 4 großen Buchstaben berichtet darüber in ihrer heutigen Ausgabe positiv.

  2. A.G. said,

    28. Mai, 2013 um 20:18

    Wenn die Berliner Wasserbetriebe den Änderungsvorschlag der AnwohnerInnen voll umfänglich angenommen hätten, hätten laut dem Urheber H.E. auch diese fünf Linden langfristig erhalten bleiben können !

    Das haben wir auch dem Herren von der BILD erklärt, dessen Artikel heute erschienen ist, in dem steht das und vieles andere zwar nicht, aber immerhin ist er recht sachlich.

    Die Bäume jetzt – mitten in der Brut- und Vegetationsperiode – zu fällen war komplett unnötig.

  3. pro Stadtnatur said,

    9. Juni, 2013 um 9:33

    Zum Thema:
    aktuelle Wochenzeitung (05.Juni 2013), Ausgabe Kreuzberg.

    Online-Kommentare kann man hier abgeben.


Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..