Burkini Atoll

Nebengleis für den Hass: die Debatte zu Burka, Nikab und Burkini.

(Kürzlich traf ich die vollverschleierte Frau Petry, fünf Schritte hinter dem turbangeschmückten Herrn Höcke auf dem Weg zur Reichskleiderschau. Auch Frau von Storch hat sich gerade die Burka übergezogen, um sich erst auf dem Parteitag im Bürgerbräukeller den Getreuen zu zeigen. ) Ich hatte dies gerade geschrieben, da höre ich, dass im sächsischen Landtag eine AfD Abgeordnete brav im Vollschleier auftrat, sich aber den autoritären Verhaltensregeln des Systems unterwarf und den Schleier ablegte. So musste ihr jeder, der konnte, ins Gesicht sehen.

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Nun haben sie wieder ein Thema, die Burka und den Burkini. Wenn die Sache mit Kleidervorschriften so einfach wäre, könnte man daraus Politik machen. So aber müssen wir denken, damit daraus Politik wird. Zunächst einige noch unverbundene Beobachtungen:

  • In den 50er und frühen 60er Jahren durften wir keine Blue Jeans tragen und die Mädchen keine Hosen in der Schule;
  • Noch in dieser Zeit hatten Männer Verfügung über Bankkonten, Arbeitserlaubnis und Reisefreiheit „ihrer“ Frauen;
  • Ich erinnere mich daran, dass bei Sommeraufenthalten in Tirol in den Dörfern alle Frauen Kopftücher trugen, schwarz die Witwen, bunt die Ehefrauen;
  • Ich wunderte mich, dass ein katholischer Priester während der Studentenunruhen plötzlich in Anzug und Kravatte, aber ohne schwarzes Röckchen und Stehkragen auftauchte und mit uns diskutierte;

Dies war das christliche Abendland der Identitären. Anderswo:

  • Über die antikoloniale Politik in Algerien berichtet Pierre Bourdieu, dass Frauen ein Kopftuch als Zeichen des Widerstands gegen die Franzosen trugen;
  • In Bagdad unter Saddam Hussain studierten Frauen ohne Kopftuch und im Rahmen ihres Privilegs, nicht zu den Verfolgten und Gefolterten zu gehören, jedenfalls emanzipierter als heute;
  • In Afghanistan ist die Burka an Universitäten verboten, weil in der Vergangenheit oft bewaffnete Männer den Schutz des Umhangs gesucht haben (vgl. Kommentar von Thomas Ruttig zum letzten Blog);
  • In Oman kann mann vollverhüllte, elegante Nikabträgerinnen sehen, deren Sklavinnen, weit weniger verhüllt, die Einkaufstaschen respektvoll hinter ihnen hertragen;
  • In den USA ist die Tötungshemmung in weiten Teilen der Bevölkerung geringer als anderswo, aber auch kleine Kinder dürfen nicht nackt am Strand spielen;
  • Ich habe bei universitären Veranstaltungen in einem islamischen Land mit gemischten Klassen verfolgt, wie sehr der Schleier als modisches Spielzeug dauernd in Bewegung („Tanga-Tschador“) war (die Ehemänner saßen daneben);

Generell kann man diese Probleme anthropologisch und sozialkulturell in drei Sparten teilen:

  • Missbrauch angeblicher religiöser Gebote
  • Missbrauch männlicher Dominanz über die weiblichen Habitus
  • Gebrauch von Kleidungs- und Entblößungsakten für die Emanzipation von Frauen, allgemein von Genderpolitik

Natürlich hat weder irgendein Gott noch sein Prophet noch sonst eine religiöse Autorität sich damit abgegeben, Kleidervorschriften zu entwerfen. Offenbarung als Begründung scheidet aus. Religion als soziale Ordnungsmacht ist nicht nur meist männlich notiert, sie dient auch der Entwertung von Frauen. Das ist keine islamische Besonderheit, das gilt für fast alle Religionen. Und hat mit Glauben nichts zu tun, sondern mit der Unterwerfung unter Regeln, die selbst Kommentare sind, aber nicht kommentiert werden dürfen.

Zynisch ist es, wenn man nur deshalb gegen ein Burkaverbot ist, weil die Frauen sich freiwillig so ankleiden und weil es sie (innerhalb ihrer Gemeinschaft?) schützt. Zynisch ist auch, sich für ein Verbot auszusprechen, weil nur das den Frauen ihre Würde zurückgebe. Zynisch ist es allemal, wenn unsere Politiker nichts besseres und wichtigeres zu tun haben, als dieses Thema in die Niederungen der Wahlkämpfe und im Stimmenfischen ganz rechts einzusetzen.

Ich – nicht wir, nicht alle, nicht unsere Gesellschaft – halte Vollverhüllung ebenso für Körperverletzung wie andere nicht-rational begründete Rituale, z.B. die Beschneidung bei jüdischen Kindern. Ich denke, solche Rituale kann und soll man nicht verbieten, sonst geschehen sie im Geheimen (Beschneidung) oder als Widerstand, und dann haben die Männer und Politiker schlechte Karten: denn dann tragen die Frauen „freiwillig“ ihre Kleidung.

Mir geht es darum, dass die Menschen sehr viel mehr über die Herkunft ihrer Kleidungssitten wissen, dass das Spiel von Entblößung und Verhüllung nichts mit Gott oder Religion, sondern mit Ästhetik, Erotik, oder schlicht mit vielfältigen Signalen nonverbaler Kommunikation zu tun hat. Dieses Repertoire zu beherrschen, gehörte eigentlich zur allgemeinen Bildung, wird aber dort kaum thematisiert. (Zur angeblichen Sexualisierung kommt ein weiterer Blog). Hier nur so viel: es kann zur Willkommenskultur gehören, diesen Aspekt durchaus kontrovers in den Ankommensdiskurs einzuführen.

Wer hat bei uns schon einmal eine Frau in Burka gesehen?

Jedenfalls sind alle gesetzlichen Verbote und Restriktionen kontraproduktiv, selbst dort, wo sie teilweise rational oder auch verständlich begründet sind. An der aufgeklärten Thematisierung führt kein Weg vorbei.

Nachsatz für die Abendländer: viele französische Gemeinden fürchten Einbußen beim Tourismus, wenn Frauen im Burkini am Strand geduldet werden. Eine klatschnasse Körpererscheinung vermag ölglänzende Körpersurrogate zu verärgern? Zu beschämen? (Wenn es jemandem nicht passt, dass er und sie in der gemischten Sauna nun tatsächlich nackt zu sitzen habe, aus guten hygienischen und medizinischen Gründen, kann man ja in die Monosex Sauna gehen, aber man kann sich nur schwerlich eine suchen, in der man nicht nackt sitzen und schwitzen muss). Wem tut der Burkini etwas zu leide? Ach ja, dem ästhetischen Gefühl des christlichen Abendlandes. Dazu demnächst mein Blog zur sogenannten Sexualisierung des Alltags.

Ein Gedanke zu “Burkini Atoll

  1. Diese Form des „white man saves brown woman“ (Spivak) ist nicht neu und wird sich wiederholen, so lange „die unterdrückte Frau“ nicht selbst zu Wort kommt. Mittlerweile dürften nun alle den Unterschied zwischen Burka, Niqab und Kopftuch verstanden haben. Dennoch will ich hervorheben, dass unter anderen Gründen die himmelsblaue Burka im heutigen Gebiet Afghanistans und Pakistans wegen der britischen Kolonialsoldaten getragen wurde. Die Bevölkerung wollte sich vor der Kolonialisierung in jeglicher Hinsicht schützen. Dies kann auch in die Spate „Verobjektivierung der Frau“ eingeordnet werden. Dennoch lösen diese hegemonialen, patriarchalen und westlichen Überheblichkeiten dieselben Mechanismen aus, sie haben negative Folgen für die Gesellschaft und vergessen die Betroffenen selbst zu fragen, sowie ihren Lebensraum zunächst wertfrei zu analysieren.
    Diese Themen werden zur Zeit in der Gesellschaft diskutiert und kommen über voreilige Behauptungen und negative Stereotypisierungen leider nicht oft hinaus. Eine diverse Gesellschaft in der unterschiedliche Lebensentwürfe möglich sind, sind mit solchen Verbotsdebatten jedenfalls nicht zu erreichen.
    Im englisch-sprachigen Raum gibt es weit aus stärkere Debatten und Stimmen zum „the othering“ etc. und nehmen auch langsam hier ihren Lauf. Diese Scheindebatten werden sich nur ändern, wenn sich der tatsächliche Migranten- und Genderanteil in der Bevölkerung vertikal bis in die höchsten Ämter des Regierungsapparates, der börsennotierten Unternehmen und in der gesamten Gesellschaft widerspiegelt. Jedoch teilen die an der Macht befindenden Personen nur ungern, auch hier gilt es anzusetzen. Denn zu wenige Diversität schadet dem Wachstum einer Gesellschaft und erstickt die Pluralität, die in unserem Grundgesetz verankert ist.

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