Ruhiges Allgäu – Wirken die Antitourismusmaßnahmen?

Frühsommer 2022 im Allgäu und in den angrenzenden Regionen Österreichs. Es ist ruhig in den Bergen. Bei optimalen Bedingungen trifft man oft den ganzen Tag keinen oder nur wenige Menschen auf Tour, die Parkplätze sind nur mäßig gefüllt und in den Wirtschaften bekommt man problemlos einen Platz. Was ist los? Wirken die „Antitourismusmaßnahmen“? Haben die Bergsteiger vom Allgäu  und Außerfern die Schnauze voll? Beobachtungen zwischen Mai und Juli 2022.

Ein wolkenloser, heißer Samstag in den Allgäuer Alpen. Wir Klettern die Route „ AMP-Weg in der Nordostwand des Liechelkopfs. Wir sind nicht nur die einzige Seilschaft in der Tour, nicht am ganzen Berg sondern im ganzen Talkessel. Dabei sind die Bedingungen an solch einem heißen, gewitterfreien Tag in den kühlen Nordwänden ideal. Nur am Gipfel begegnen wir einem einzelnen Wanderer.

Eine Woche zuvor an den Höllhörnern das selbe. Nur ein einsamer, etwas verplanter Wanderer unterhalb der Jochspitze getroffen.

Wieder eine Woche zuvor in einer beliebten Klettertour an der Zwerchenwand in den Tannheimer Bergen. Hier war tatsächlich der Parkplatz voll, an den Felsen stauten sich die Seilschaften und zahlreiche Seilkommandos hallten im Gimpelkar hin und her. Zudem noch unzählige Wanderer auf allen Wegen. Allerdings wurden in Nesselwängle im Vergleich zum Vorjahr auch die Parkregeln nicht verschärft. Früh morgens bzw. über Nacht parken ist kein Problem und eine Parkgebühr von 5,–€ , die vor Corona noch als Wucher gesehen wurden, gilt inzwischen als moderat.

Schreckseeumrundung.

Ich radle von zu Hause bis zum „Üfschriebarhittle“ und wähle somit den bequemen Aufstieg zum See. Gegen 5.00 Uhr passiere ich den Parkplatz „Auf der Höh“ in Hinterstein und beobachte Leute, die erfolglos versuchen, einen überteuerten Parkschein zu lösen. Das funktioniert aber erst ab 7.00 Uhr. Früh aufbrechen ist aber an einem heißen Tag mit nachmittäglicher Gewittergefahr ein wichtiger Sicherheitsaspekt. Oben am See kein Zeltlager mehr (gut so) nur ein einzelner Biwakierer, der gerade sein Zeug zusammen packt. Oben auf dem Grat natürlich kein Mensch. Overtourism, gibt’s dich überhaupt? Beim Abstieg vom See  nach Hinterstein  treffe ich vielleicht 20 Personen.  Viel zu spät, an einem Tag, an dem es ab Mittag gewittern soll. Da waren  auch schon mal deutlich  mehr unterwegs. Im zweiten Teil des Abstiegs auf dem bequemen „Geheimweg“ erscheint noch eine auswärtige Dreiergruppe, die diesen Weg auf irgendeiner Tourenapp gefunden hat.  Zurück in Hinterstein radle ich wieder über den Parkplatz. An einigen hängt ein Strafzettel, weil sie in der früh keinen Parkschein lösen konnten und noch ein weiterer Zettel, der um Verständnis für diese idiotische Parkregelung wirbt. Schön, dass ich davon nicht betroffen bin.

Klettergarten Weihar bei Bad Hindelang:

Es ist Feierabendklettern angesagt. Es ist der einzige, gewitterfreie Abend unter der Woche. Der Fels ist trocken und es ist warm, aber nicht zu heiß. Kaum zu glauben, wir haben den ganzen Klettergarten für uns alleine, nur an der nahen Kraftwand klettern noch zwei Seilschaften. Gut so, dann specken die Felsen nicht noch mehr ab.

Sonthofer Hof:

Einkehr nach einer Feierabendbiketour auf´s Sonthofer Hörnle. Die Hütte ist offen, die Wirtsleute sind freundlich wie immer und es gibt Platz auf der Hütte. Auch das Essen ist gut.  Die Inflation ist zwar auch am Sonthofer Hof angekommen, aber noch im erträglichen Rahmen. Man kann hier  noch einkehren. Ganz im Gegensatz zu einigen anderen Lokalitäten, wo bereits die 5,–€ Marke für ein Weizen geknackt wurde. Ein Überschreiten dieser roten Linie bedeutet für mich Rückkehr zum Dosenbier am Gipfel, pfandfrei bei Lidl in Österreich gekauft.

Die Beispiele könnten belieb fortgesetzt werden, aber warum ist das so?

50 Mark für eine halbe Bier

Die ersten Hütten im Allgäu haben  die rote Linie von 5,– €  für ein Weizen oder eine Halbe überschritten. Mal bei unsicherem Wetter eine kleine Tour zu einer Hütte „auf a Halbe“ wird zu einem unerschwinglichen Spass. Eine  Halbe Bier kostet in Hinterstein oder Oberstdorf  bis zu  50,– DM.  50,– Mark!!!. Der Preis setzt sich zusammen aus der Parkgebühr (10,–€) , dem Preis für den Linienbus (10,–€)  und dem Preis für das Bier.

 

Exklusivität braucht Exklusion

Für den Durchschnittsallgäuer, ohne Gästekarte, Einheimischenparkkarte oder der Möglichkeit von zu Hause los zu radeln,  wird manche Tour einfach zu teuer, oder auf Grund tageszeitlicher Beschränkungen erschwert oder unmöglich.

Der „normale Gast“ bleibt weg, der privilegierte  hat Platz.

Nachtparkverbote verhindern einen rechtzeitigen Aufbruch, was aber gerade bei Gluthitze oder nachmittäglicher Gewittergefahr wichtig wäre. Wer unmittelbar unter derjeweiligen Tour wohnt, ist davon natürlich nicht betroffen und genießt exklusiv den Sonnenauf- oder untergang am Gipfel.

Gar nicht schlecht. Oder? Nun, bevor man so etwas befürwortet, sollte man bedenken, dass man bereits in der Nachbargemeinde  als lästiger Tagesgast gilt, den man hinaus eckeln möchte.

Die Touristiker nennen das Besucherlenkung.

Zettelaktionen gegen Touristen

Weniger höflich umschrieben und damit auch deutlicher sind dagegen die Zettelaktionen einger Einheimischer. Seinen Anfang nahm die Unsitte im Außerfern ist aber dann auch ins Oberallgäu übergeschwappt.  Betroffen waren Autos mit auswärtigem Kennzeichen. Die Zettelschreiber haben nur nicht bedacht, dass es auch Firmen- und Leasingfahrzeuge gibt, die nicht zwingend ein lokales Kennzeichen tragen und dass sie selbst auch Fremde sind, wenn sie die Heimtgemeinde verlassen.

Zettel an einem Auto mit auswärtiger Nummer in Burgberg am Grünten. Solche „Grüße“ werden den Unterländer nicht von einer Bergtour auf den Grünten abhalten, weil es einfach der naheliegenste Berg ist.  Ein Stuttgarter oder Münchner verbringt aber vielleicht mal ein langes Wochenende wo anders.
Flugblattaktion in Weißenbach/Tirol. Während Einige sich vom Tourismus überrannt fühlen, ist die Aktion anderen Einheimischen eher peinlich und die Touristiker sind um Schadensbegrenzung bemüht. Auch ein Symptom des Dichtestress

 Gastronomie: Teurer und nicht besser

Die Gastronomie „punktet“ durch immer höhere Preise bei gleichzeitig schlechterem Service und vor allem eingeschränkten Essenszeiten.  Letzteres besonders im Lechtal zu beobachten. Nach dem Lockdown nahm man das gerne in Kauf, aber mit der Zeit stärkt das den Trend zur Selbstversorgung.

Für diejenigen, den es egal ist, gibt es meist reichlich Platz ohne Andrang.

 

Die Reisefreiheit ist zurück

Im Sommer 2022 muss kaum noch jemand befürchten, nach einem verpflichteten Coronatest irgendwo an einem Flughafen  oder in einem Quarantänehotel zu verschmachten, wenn der Test positiv ausfällt.  Die Sorgen, plötzlich irgendwo fest zu sitzen hat viele von Fernreisen abgehalten. Man beschränkte sich auf Ziele, die mit dem eigenen Auto erreichbar waren.

Diese Sorgen sind nun weitgehend entfallen. Fernziele sind wieder gefragt und die Alpen vor der Haustüre sind nicht mehr die Urlaubsdestination Nr. 1.

Das Flugchaos konnte man bei der Urlaubsbuchung noch nicht erahnen.

Fazit.

Im Vergleich zu den letzten Sommern hat der Andrang in den Bergen nachgelassen. Diese Beobachtung  wird durch manchen Wirt und zahlreiche Einheimische bestätigt. Die Gründe dafür mögen vielschichtig sein.

Teure Parkplätze, lange Zustiege, zeitliche Begrenzungen schrecken ab. Wo anders sind die Berge schneller und unkomplizierter erreichbar.

Höhere Preise bei oftmals eingeschränkten Service  in der Gastronomie stärken den Trend zur Selbstversorgung.

Die Besucherlenkungsmaßnahmen gegen den Overtourismus wirken, manche Unfreundlichkeit auch.

Auf den ersten Blick mag das durchaus angenehm erscheinen, sofern man in seiner Heimatgemeinde nicht davon betroffen ist. Blickt man über den Tellerrand hinaus, stellt man rasch fest, dass man bereits in den Nachbargemeinden von den beschriebenen Negativentwicklungen betroffen ist oder man selbst auch mal Urlauber oder Tourist ist. Dann ist das Ganze vielleicht nicht mehr so toll.

 

4 Kommentare zu „Ruhiges Allgäu – Wirken die Antitourismusmaßnahmen?“

  1. Damit bringst du es ganz gut auf den Punkt:

    „Blickt man über den Tellerrand hinaus, stellt man rasch fest, dass man bereits in den Nachbargemeinden von den beschriebenen Negativentwicklungen betroffen ist oder man selbst auch mal Urlauber oder Tourist ist.“

    Wenn ich im Alpenraum unterwegs bin, bin ich ein auswärtiger Tourist. Speziell das Allgäu bietet zahlreiche Fallstricke, mit denen ich selbst schon in Kontakt kam (keine Möglichkeit den Parkschein um 5 Uhr am Plansee zu lösen bei Schlechtwetter ab frühem Mittag, dafür nachher natürlich Bußgeld, Nachtparkverbote, inzwischen kaum mehr kostenfreie Parkplätze). Campingplätze sind an den gut besuchten Wochenenden übrigens nicht selten ausgebucht. Da bleibt dann für viele nur die Flucht nach Norden, dorthin wo wieder Platz auf den Campingplätzen ist oder eben Parkplätze ohne Nachtparkverbot zu finden sind. Nur um dann Tags drauf wieder nach Süden zu pendeln.

    Zu Corona-Hochzeiten (zwischen Weihnachten und Silvester 2020) hatten wir im Sauerland auch extremen Andrang. Die bekannten Wintersportorte Winterberg und Willingen wurden abgesperrt (hat es bis in die Tagesschau geschafft). Parkplätze (z.B. zum Einstieg in die gespurten Loipen) wurden auch für Einheimische gesperrt. Für die ohnehin nicht geöffneten Liftanlagen und deren Skihänge wurden Betretungsverbote ausgesprochen. Die Polizei ist mit Hundertschaften und Reiterstaffeln über die Skipisten und hat teils hohe Bußgelder verhängt.
    Dabei ist auch hier ein ziemlicher Fremdenhass entstanden (mit meinem Dienstwagen und ortsfremdem Kennzeichen hatte ich auch schon Sorge vor Beschädigung). Wenn ich mir allerdings mal andere Regionen anschaue, die geografisch ähnliches Potenzial haben, jedoch weniger stark auf Tourismus gesetzt haben (Harz, Thüringer Wald bspw.) möchte ich auch nicht tauschen. Von der Infrastruktur und dem Angebot profitiere ich als Einheimischer. Ohne Touristen gäbe es keine Skipisten, keine Therme, keine Kletterhalle, keine Loipen usw.
    Parkgebühren sind hier zum Glück noch sehr selten. Nachtparkverbote nehmen allerdings zu. Ich hoffe jedoch, dass sich unsere Region nicht wie das Allgäu entwickelt.

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  2. Tja, für Oberstdorf und seine Täler gilt das nur zum Teil. Nein, es sind nicht zu wenige Touristen, sondern nach wie vor viel zu viele.

    Gleichzeitig gilt für Tagesausflügler, Camper, ortsansässige Senioren und Familien und alle anderen die nicht mit Geld um sich werfen können dass sie ihre Ausflüge in die Natur gut einteilen müssen weil man überall das Geld aus den Taschen gezogen bekommt.

    Es ist eine Sauerei, und mancher Bürgermeister hat nichts besseres zu tun als Gemeinden gegeneinander auszuspielen.

    Eine Allgäu-Card für alle ab Ulm/Allgäu/Schwaben sollte selbstverständlich sein.

    Mein Aggressionspotential ist leider auch schon verdammt hoch und die Urlauber können ja eigentlich gar nichts dafür.

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  3. Schön das jemand erkennt, das es nicht die Touristen sind, sondern eher die geldgierigen einheimischen.
    Ansonsten gilt…
    Macht immer schön so weiter. Baut fleißig weiter skipisten, zerstört die Umwelt,verteuert die parkplätze und das immer schlechtere essen und verflucht die blöden Touristen. Ihr seit einfach die hellsten auf diesem Planeten .

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