Hausverstand

Mit dem „Hausverstand“ zu werben, hat einem billigen Laden durchschlagenden Erfolg beschert. Den „Hausverstand“ beim Einkaufen von Karotten einzusetzen, ist sicher klug, um etwa nicht zu viele Karotten zu kaufen, die doch nur unverbraucht vergammelt im Abfalleimer landeten.

Den „Hausverstand“ in der Politik zu bemühen, wie es Gernot Blümel und Sebastian Kurz tun, mag ihnen „clever“ erscheinen. „Clever“ aber ist das doch nur, wie eine Billig-Laden-Marke „clever“ zu sein vermag.

Gernot Blümel setzt aktuell im Wahlkampf zur bevorstehenden Gemeinderatswahl in Wien am 11. Oktober 2020 auf den „Hausverstand“.

Sebastian Kurz setzt ein weiteres Mal auf den „Hausverstand“, ebenfalls jetzt im September 2020, um ein medizinisches Problem, auch genannt „Coronavirus“, zu lösen.

Sebastian Kurz setzte schon davor auf den „Hausverstand“, besonders in seiner Regierungserklärung, als die Damen und Herren der FPÖ für kurz Regierungspartei

„Kurz will mit ‚Respekt, Anstand und auch Hausverstand‘ regieren, Letzterer soll der ‚Kompass‘ für die Politik sein.“ 

Der „Hausverstand“, für Sebastian Kurz „Kompass für die Politik“ … Der Hausverstandskompaß mit seiner Anstandsnadel von Gernot Blümel und Sebastian Kurz mit seinem einzigen Pol Ibiza

Nun setzt auch Gernot Blümel wieder auf „Anstand und Hausverstand“, und er bringt dabei nicht einmal den Anstand auf, die Entscheidung der Wählenden abzuwarten, er will auf alle Fälle Vizebürgermeister in Wien werden, ihm dabei gleich, wie die Wahl ausgeht, ihm dabei gleich, wie die Menschen wählen

Die Anstandsnadel des Hausverstandskompasses festgefroren am Ibizapol …

Gernot Blümel will „Wien wieder nach vorne bringen“, so steht es auf seinem Plakatspickzettel, mit seines Parteimenschen Zurechtfindungsprothese Hausverstandskompass, aber vorne ist einzig der Ibizapol, und die Nadel dieser Prothese kann keine andere Richtung weisen. Ibiza steht nicht nur für das, was dort der für kurz gewesene Vizekanzler von sich gegeben hat, sondern generell für alles, das nichts mit Politik, mit Respekt, mit Anstand zu tun hat, und nur mit „Hausverstand“ …

Bloß „Hausverstand“,

„[E]in Synonym für solche Lebenstüchtigkeit ist der gesunde Menschenverstand. Dem sensus communis ist Populismus inhärent. Wer sich auf ihn beruft, tut es im Namen kollektiven Denkverzichts.“

Es ist, als würde Marcus Steinweg die Hausverstandsvorgänge in Österreich besonders berücksichtigen, ohne sie aber je zu erwähnen, und was er in „Metaphysik der Leere“ über den „Hausverstand“, von dem Gernot Blümel und Sebastian Kurz derart ergriffen sind, ihm derart erlegen sind, die aus nichts sonst als „Hausverstand“ bestehen, deren Hauptberuf „Hausverstand“ ist, auf den sie sich, worum es auch immer gehen mag, berufen, schreibt, muß im Gesamten, weil es eine zu schöne Stelle ist, zitiert werden.

„Meinungsindustrie

Mit Roland Barthes teilt Adorno die Unversöhnlichkeit gegenüber der intellektualitätsfeindlichen Doxa, dem, wie er sagt, ‚atheoretischen oder antitheoretischen Vorurteil‘. Statt nur Ahnungslosigkeit drückt es Ressentiment aus. Wer nicht denkt, muss gegen das Denken sein. Insofern es das Bedenken der Motive des Denkens wie der Denkverweigerung impliziert, kann Denken Nichtdenkenden helfen, sich zu verstehen. Dafür müssten sie sich auf es einlassen. Adorno und Barthes sind sich darüber im Klaren, dass Theoriebashing nur reaktionär sein kann. Es kommt aktivem Intelligenzverzicht gleich, der sich als Lebenstüchtigkeit tarnt. Ein Synonym für solche Lebenstüchtigkeit ist der gesunde Menschenverstand. Dem sensus communis ist Populismus inhärent. Wer sich auf ihn beruft, tut es im Namen kollektiven Denkverzichts. Die Doxa hat die Funktion, vom Denken abzubringen, um es durch Meinungskonsum zu substituieren. Kulturindustrie ist Meinungsindustrie. Sie reduziert den Denkgehalt auf Stereotype. Eine dieser Stereotype besagt, dass Theorie praxisfeindlich sei. Als ob Theorie nicht selbst eine Praxis wäre, deren Wirkungsmächtigkeit kaum überschätzt werden kann. Wenn es ein Leitmotiv der Schriften Barthes‘ und Adornos gibt, dann ist es der Kampf gegen die Doxa. Beide stehen gegen den Quietismus des Nichtdenkens auf, gegen das Vorurteil philosophischer Realitätsferne, gegen die lauthalse Mutlosigkeit selbstgerechter Reaktion. Von Barthes und Adorno kann man lernen, dass, wer sich aufs Denken einlässt, den Raum seiner Evidenzen verlässt, um sich Erfahrungen zu exponieren, die seine Existenz transformieren. Intellektualitätsfeindlichkeit erweist sich als Lebensfeindlichkeit, die im Namen des Lebens auf dessen Lebendigkeit verzichten will.“

Adorno, der vor über fünfzig Jahren einen Vortrag hielt, in Österreich: „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ … Wie würde heute sein Vortrag ausfallen, könnte er noch einmal einen Vortrag halten, in Österreich … wahrscheinlich im Überblick von mehr als fünfzig Jahren würde er wohl bloß den Titel zu kürzen brauchen auf „Aspekte des Rechtsradikalismus“ …

Ob Roland Barthes sich dagegen verwehrt hätte, für Österreich herangezogen zu werden? Nein, wohl nicht, es wäre ihm egal gewesen …