Plötzlich ist alles ganz anders

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In dem einen Moment genießen wir es alle – endlich ist Sommer und die Sonne scheint. Gut, es ist vielleicht schon wieder ein bisschen zu warm, aber seien wir ehrlich. Besser als mit dicken Mänteln und roter Nase über Glatteis laufen, ist das Wetter gerade allemal. Wir genießen die Parks, die Gärten, die Blumen und die Möglichkeit sämtliche Freiräume zu nutzen, die sich uns bieten. Wir genießen das Leben in vollen Zügen. Dann kommt plötzlich ein Anruf und alles ist anders.

Eine Nachricht, dass die Mutter, Schwiegermutter und Oma im Krankenhaus liegt. Die Familie bricht sofort alles ab, was im Moment vonstattengeht und orientiert sich von jetzt auf gleich neu. Man setzt sich ins Auto, fährt zum Krankenhaus mit der bangen Hoffnung, dass es nicht so schlimm sein wird, wie man … nein, wie man sich eigentlich nicht denken möchte. Die erste Einschätzung vom Arzt wird eröffnet und dann heißt es abwarten, wie es sich entwickelt. Was kommt am nächsten Tag? Was wird sein, wenn alle Ergebnisse der Untersuchungen vorliegen? Wie sieht die Zukunft aus?

Das ist eine Situation, wie sie jeden Tag geschieht, die wir aber eigentlich nicht wahrhaben wollen. Wir sind froh, wenn sie uns selber nicht trifft. Man hört davon immer wieder von Verwandten, von Nachbarn, von Kollegen oder Freunden von Freunden. Plötzliche Krankheitsfälle oder Unfälle, die dem Leben von einer Minute auf die andere eine völlig andere Richtung geben. Wollen wir auch nicht hören. Wir sind ja gesund und es geht uns gut. Was auch immer so bleiben sollte – hoffen wir.

Nach der ersten Prognose des Arztes kommt die Ernüchterung und es beginnen die Gedankenspiele, was wird wenn dies oder jenes passiert. Spekulationen kreisen im Kopf, aber ein richtiges und befriedigendes Ergebnis kann es nicht geben, denn es ist ja nichts mehr sicher und fest. Und – es wird nie mehr, wie es einmal war. Die einzige Sicherheit.

Die Angehörigen müssen nun warten, gezwungenermaßen. Wie gestaltet sich der Krankheitsverlauf? Mit welchen Einschränkungen ist zu rechnen? Ist eine vollständige Gesundung überhaupt möglich? Jeder verarbeitet für sich selber, auf seine Weise. Hat Bilder im Kopf, erinnert sich an Situationen und versucht seiner Angst Herr zu werden. Gut, wenn man sich austauschen kann. Wenn man gemeinsam verarbeitet, die Situation bespricht und notwendige Schritte plant.

Wenn man denn planen kann! Allzu oft stellen Angehörige in genau solch einer Situation fest, dass sie gar nichts planen dürfen. Das sie nicht entscheiden können. Keinerlei Rechte haben einzugreifen und dem Angehörigen nach ihrem Verständnis unterstützen dürfen. Es fehlen die notwendigen Papiere, Unterlagen, Verfügungen und Vollmachten. Man weiß vielleicht genau, was sich der kranke oder verletzte Angehörige gewünscht hat, dennoch gibt es keine Möglichkeit, dies geltend zu machen, wenn zeitige Vorsorge nicht getroffen wurde. Ein gerichtlich bestellter Vormund wird benannt und Angehörige können nur hoffen, dass er die Lage des Patienten einvernehmlich einschätzt und handelt.

Es tut weh, sich vorzustellen was wird, wenn man selber einmal schwer krank oder so verletzt ist, dass man nicht mehr für sich selber entscheiden kann. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass genau dieser Fall eintritt ist enorm hoch. Selbst wenn wir Glück haben, nicht schwer krank werden, keinen Unfall erleben, sondern einfach nur alt werden – irgendwann kommt der Moment indem wir nicht mehr selber entscheiden können. So gilt es vorzusorgen, wenn wir gesund und im Vollbesitz unserer geistigen Kräfte sind. Und dies nicht nur für uns selber, sondern und insbesondere als Entlastung für unsere Angehörigen. Ja, es tut weh, sich diesen schlimmsten Fall der Fälle vorzustellen und entsprechende Papiere vorzubereiten, aber – genau diese Vorbereitung gibt die beruhigende Sicherheit, dass im schlimmsten Fall das getan wird, was wir selber verfügt haben. Das unseren Wünschen Rechnung getragen werden muss und die Menschen, denen wir vertrauen, auch ein Auge darauf haben, dass unsere Verfügungen umgesetzt werden.

Zu nennen sind hierbei die Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Betreuungsverfügung, Bankvollmachten und ggf. eine Generalvollmacht. Papiere, die eine vertraute Person in die Lage versetzen, unseren bestimmten Willen durchzusetzen. Zudem ersparen wir der Person unseres Vertrauens viele unangenehme Wege und Erklärungen. Die Rechtslage ist klar. Gibt es keine Papiere, gibt es für Angehörige nichts zu tun, außer die Dinge als Zuschauer zu beobachten und hinzunehmen oder einen unangenehmen und schwierigen Instanzenweg zu durchlaufen.

Besondere Vorsicht ist dabei denen zu raten, die glauben, dies gilt nur für erwachsene Kinder und deren Eltern im Seniorenalter. Ehepartner sind genauso betroffen, wie Paare mit Kindern. Lebensgemeinschaften haben wiederum besondere Regelungen, genauso wie Geschwister untereinander. Es gibt ausnahmslos niemanden, der keiner Vorsorge bedarf, was im Fall der Fälle mit ihm geschehen soll. Oder besser noch, was eben nicht mit uns geschehen soll. Wer denkt schon als junge Mutter oder Vater gerne daran, was passiert, wenn beiden Elternteilen ein Unglück geschieht. Haben Sie festgelegt, wer das Sorgerecht und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder bekommt? Wollen Sie die Entscheidung treffen und festlegen oder überlassen Sie diese den Ämtern, die keinen Einblick haben, wie die familiäre Konstellation wirklich ist? Wem die Kinder vertrauen oder bei wem Sie denken, dass sie in ihrem Sinne weiter erzogen werden könnten. Wer, wenn nicht Sie selber, kann am besten beurteilen, wie der Fall der Fälle in ihrem Sinne geregelt werden sollte.

Informationen dazu findet man an vielen Stellen. Man kann viel Geld dafür ausgeben oder sich an soziale Verbände wie die Caritas oder in Berlin z.B. an die Bezirksämter wenden, die solide Informationen und Hilfe geben können. Bei den Bezirksämtern wird eine Gebühr von 10 € für die Beglaubigung erhoben.

Im Eingangs beschriebenen Fall der Großmutter wurden alle erforderlichen Verfügungen rechtzeitig getroffen. Und so ungewiss die Situation sein mag, ist es beruhigend, dass die Familie aktiv teilhaben, begleiten und entscheiden kann, wie auch immer der Genesungsverlauf aussehen wird. Die Aufmerksamkeit gilt allein dem Patienten und nicht irgendwelchen Formularen, für die man doch keinen Kopf frei hat.

6 Kommentare zu “Plötzlich ist alles ganz anders

  1. Viel Kraft für Euch

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  2. Hallo Anna Schmidt,
    einfach geschrieben und genau auf den Punkt! Vielen Dank. Dank auch an Thomas Mampel für den Hinweis.
    Ich nehme es als Link auf in meine XING-Gruppe Soziale Arbeit im Gesundheitswesen.

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  3. dany1705 sagt:

    leider mussten wir uns mit diesem Thema in den letzten 2 Jahren sehr oft beschäftigen. Mein Schwiegerpapa starb vor 1,5 Jahren an Krebs, 1 Monat später mein Papa. 5 Tage danach erfuhr ich selbst, dass ich Krebs habe, wurde 2x operiert, bekam Chemo und Bestrahlungen. Der erste Gedanke war da:“Wie sag ichs meinem Mann und wieviel Zeit bleibt mir noch, alles zu organisieren?“ Zum Glück ist momentan wieder alles gut, toi toi toi, aber man fühlt sich total überrollt. Noch mitten in der Chemo, starb meine beste Freundin kpl. überraschend an Krebs. Keiner wusste etwas von ihrer Erkrankung. Das alles bringt einen zum Nachdenken und wir haben vor kurzem für meine Schwiegermama Vorkehrungen getroffen, damit wir im Ernstfall etwas organisierter agieren können. Ich wünsche Euch alles Gute und drücke die Daumen.

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  4. TMampel sagt:

    Hat dies auf mampel´s welt rebloggt und kommentierte:
    Bitte lesen. Es geht um Dein Leben. Und um die Zeit danach.

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  5. wünsche viel kraft.

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  6. Elvira sagt:

    Ich arbeite in einer Arztpraxis und erlebe die von Dir beschriebenen Einschränkungen der völlig ungläubigen Angehörigen recht häufig. „Aber ich bin doch die Ehefrau. Wir sind 30 Jahre verheiratet. Das geht doch nicht, dass ich keinen Einfluss nehmen kann!“. So in der Art hören sich die Äußerungen an. Mein Mann und ich haben alle Vollmachten und die Betreuungs- sowie Patientenverfügung erstellt. Was häufig versäumt wird, ist die unterschriebene Einverständniserklärung der Personen, die für die Betreuung vorgesehen sind. Es gibt da sehr gute Vorlagen auf der Seite des Bundesjustizministeriums. Die Patientenverfügung sollte nach ausführlicher Beratung durch den Arzt des Vertrauens erstellt werden. Denn auch wenn sich der Patient keine maschinelle Lebensverlängerung wünscht, sollten Ausnahmen explizit erwähnt werden (die Reanimation während eines Eingriffs z.B., oder der Wunsch, beim Sterbevorgang keinen Durst zu verspüren und keine Schmerzen erleiden zu müssen). Wir alle wissen um unsere, auch völlig unerwartete, Endlichkeit, dennoch schieben wir diese Angelegenheit wider besseren Wissens auf die lange Bank. Ich schließe mich da nicht aus. Erst vor meiner Knie-OP im Mai haben mein Mann und ich uns mit unseren Söhnen zusammengesetzt und alles geregelt. Wichtig ist es übrigens auch einen Vermerk bei sich zu tragen, vielleicht zusammen mit dem Personalausweis oder der Krankenkassenkarte, dass eine Patientenverfügung vorliegt (auch wo und welcher Arzt eine Kopie besitzt).

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