Der Mann mit der blauen Tasche

von Florian Flade

Einen Monat nach dem versuchten Bombenattentat im Bonner Hauptbahnhof tappen die Ermittler im Dunkeln. Es gibt einige Indizien für einen islamistischen Hintergrund. Ermittelt wird jedoch in alle Richtungen.

Wenn dieser Tage im „Gemeinsamen Terror-Abwehrzentrum“ in Berlin-Treptow die Ermittler der Nachrichtendienste und Polizeibehörden zusammenkommen, um in ihrer Morgenrunde über die Gefahr des islamistischen Terrorismus zu beraten, gibt es aktuell nur ein Thema: Wer ist der Mann mit der blauen Tasche?

Vor einem Monat stießen zwei Jugendliche am Bonner Hauptbahnhof zufällig auf eine herrenlose blaue Sporttasche. Aus ihr ragten Drähte und Kabel heraus. Wie die Sprengstoffexperten der Kölner Polizei wenig später herausfanden, handelte es sich um eine funktionsfähige Bombe. Bonn, so scheint es, entging am 10.Dezember vergangenen Jahres nur knapp einem Anschlag.

Seit dem Fund der Bombe vor einem Monat arbeiten Polizei, Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft fieberhaft an der Aufklärung. In Karlsruhe ermittelt der Generalbundesanwalt wegen des Verdachts auf einen terroristischen Anschlag. Er hat das Bundeskriminalamt (BKA) beauftragt, mit Hochdruck zu ermitteln. Nun jagt die 85-köpfige Sonderkommission „Tasche“ die Bombenleger. Aber auch einen Monat nach dem Beinahe-Anschlag sind die Erkenntnisse dürftig. Immer noch ist unklar, wer der oder die Bombenleger sind, aus welchem Milieu sie stammen und was sie mit dem versuchten Anschlag bezwecken wollten.

Die bislang wertvollsten Hinweise für die Ermittler sind die Aufnahmen einer Überwachungskamera der McDonald’s-Filiale am Bonner Hauptbahnhof. Sie filmte gegen 12.49 Uhr einen bärtigen Mann mit Mütze und Handschuhen. Die Ermittler halten ihn derzeit für den möglichen Bombenleger. Die Videomaterial ist nur wenige Sekunden lang, aber es zeigt, wie der Mann jene himmelblaue Sporttasche trägt, die später von Jugendlichen auf Gleis 1 entdeckt wird.

Kurz vor Weihnachten stießen die Ermittler auf eine zweite Videoaufnahme, vom Vorplatz des Bonner Bahnhofs. Sie zeigt zwar denselben Mann, liefert aber keine neuen Informationen. Wie aus Ermittlerkreisen zu erfahren ist, soll auf der Videosequenz sogar noch weniger erkennbar sein als auf der Aufnahme von McDonald’s. Wer also ist der Mann mit der blauen Tasche?

Aus Ermittlerkreisen heißt es, dass die Person bislang weder vom Verfassungsschutz noch von Polizeibehörden identifiziert werden konnte. Es handelt sich offenbar weder um einen bekannten Islamisten noch um einen Neonazi oder Linksextremisten, der den Sicherheitsbehörden bisher aufgefallen wäre. Ein Abgleich mit den Datenbanken lieferte jedenfalls keinen Treffer.

Große Hoffnung setzten die Ermittler nach meinen Informationen daher in einen Fund kurz vor Weihnachten. Da entdeckten Kriminalisten in der blauen Sporttasche ein Haar, das vermutlich vom Bombenleger stammt. Ersten Analysen zufolge handelt es sich um das Haar einer männlichen, hellhäutigen Person aus Europa oder Nordamerika. Ob sich der Fund für eine DNA-Analyse eignet, ist aber fraglich. Das Haar wurde offenbar blond gefärbt – und ist damit vermutlich für einen DNA-Abgleich wertlos.

Offiziell ermittele man „in alle Richtungen“, heißt es bei den zuständigen Stellen. Eine Formulierung, die nach dem Auffliegen der rechtsextremen NSU-Terrorzelle bewusst gewählt ist. Es ist keineswegs sicher, dass der oder die Bombenleger aus der islamistischen Szene stammen. Überwacht wurden mehrere Dutzend Personen aus verschiedenen Extremismus-Szenen. Auch dass der Täter aus der Szene der organisierten Kriminalität stammt, schließen die Ermittler nicht aus.

Trotzdem scheint es in Ermittlerkreisen wenig Zweifel zu geben, dass man es wohl mit einem missglückten Anschlag radikaler Islamisten zu tun hat. Weiterhin federführend bei den Ermittlungen sind daher auch die Islamismusexperten von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt.

„Es gibt derzeit keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Bombenleger aus dem rechts- oder linksextremistischen Spektrum stammen“, sagt ein eingeweihter Vertreter der Sicherheitsbehörden dieser Zeitung. Für einen islamistischen Hintergrund hingegen gebe es starke Indizien. So wurde die Bombe wohl nach einer Anleitung aus dem „Inspire“-Online-Magazin von Al-Qaida gebaut. Der Sprengsatz, bestehend aus einem 40 Zentimeter langen Aluminium-Rohr, gefüllt mit Ammonium-Nitrat, vier Gaskartuschen, einem Wecker, Nägel und Drähten, ist fast identisch mit dem Al-Qaida-Bausatz.

Anfangs war unklar, ob die Bombe überhaupt gezündet wurde. Mittlerweile aber habe die Experten des BKA herausgefunden, dass der Sprengsatz zwar aus funktionsfähigen Materialien hergestellt wurde, aber über keinen funktionsfähigen Zünder verfügte. Selbst wenn der Wecker bereits gestellt gewesen wäre. Die Bombe wäre vermutlich nicht explodiert.

Was die Ermittler dennoch sehr beunruhigt, ist etwas, das in der Sprache der Nachrichtendienste „Hinweisaufkommen“ genannt wird. Gemeint sind damit Erkenntnisse über Anschlagsplanungen aus nachrichtendienstlichen Quellen. Sprich: abgefangene E-Mails, Telefonate oder Informationen von V-Leuten. Die gab es kurz vor dem Fund der Bonner Bombe und sollen durchweg aus der islamistischen Szene stammen.

Schon in den Wochen vor dem Fund registrierten die deutschen Nachrichtendienste einige Kontakte zwischen radikalen Islamisten aus dem Ausland und Personen in Deutschland. Dabei soll es zwar nicht um konkrete Anschlagsplanungen gegangen sein, aber der Ton der Nachrichten sei alarmierend gewesen, sagt ein Ermittler und fügt hinzu: „Das Hintergrundrauschen war lauter als sonst.“

Seit Jahren warnen Sicherheitsbehörden davor, dass Deutschland weiterhin im Visier von islamistischen Terrornetzwerken und radikalisierten Einzeltätern steht. 2012 kam es mehrfach zu Gewalttaten fundamentalistischer Muslime, vor allem der sogenannten Salafisten. Das Bundesinnenministerium ließ daraufhin im Juni 2012 die islamistische Gruppierung Millatu-Ibrahim mit Sitz im nordrhein-westfälischen Solingen verbieten.

Sollte der Anschlag von Bonn vielleicht ein Racheakt für das Vereinsverbot sein? Auch diese Frage stellen sich die Terrorermittler. „Das wäre denkbar“, bestätigt einer der über die Ermittlungen informiert ist, „Aber sie brauchen nicht unbedingt einen Anlass.“ Sie fänden schon einen Grund, mit dem sie ihre Taten rechtfertigen könnten. Sei es den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, seien es die Mohammed-Karrikaturen oder die Aktivitäten von Pro-NRW.

Salafisten, die sich jüngst aus Deutschland nach Nordafrika abgesetzt haben, riefen in den vergangenen Monaten immer wieder zu Gewalttaten hierzulande auf. Da gab es beispielsweise ein Schreiben eines „Abu Assad al-Almani“. Er gilt als der Verfasser einer Drohschrift mit dem Titel „Abrechnung mit Deutschland“, die im Oktober 2012 im Internet auftauchte. Darin rief der Islamist seine Glaubensbrüder in Deutschland auf, Rache für die Beleidigung des Propheten Mohammed zu üben.

Das radikale „Millatu-Ibrahim“-Netzwerk, zu dem auch „Abu Assad al-Almani“ gerechnet wird, versucht zu Gewalt aufzustacheln. Die Radikalen, die sich inzwischen in Ägypten neu formieren und weiter Propaganda produzieren, hoffen auf terrorwillige Anhängerschaft in Deutschland.

Einen mutmaßlichen Islamisten hat die Polizei bereits kurz nach dem Bombenfund von Bonn festgenommen: den Deutsch-Somalier Omar D. Er ist den Sicherheitsbehörden seit Jahren als Vertreter der salafistischen Szene bekannt. Aber es gibt bisher keinen einzigen Beleg dafür, dass der 28-jährige etwas mit der Bombe zu tun hat. Nach wenigen Stunden in Polizeigewahrsam wurde Omar D. wieder freigelassen.

Bei der Durchsuchung von D.s Wohnung hatte die Polizei mehrere SIM-Karten, eine größere Menge Bargeld sowie Amphetamin gefunden. Utensilien, die alles oder nichts bedeuten können.

Ins Visier der Ermittler war Omar D. durch die Aussage zwei Jugendlicher geraten, die den Sprengsatz am Gleis gefunden hatten. Sie hatten der Polizei von einem groß gewachsenen dunkelhäutigen Mann erzählt, der die Tasche vor ihren Füße abgestellt habe und dann verschwunden sei. Die Teenager erkannten den Mann später auf Fotos der Polizei als Omar D..

Im September 2008 hatte die Polizei D. und einen weiteren Islamisten aus einem startenden Flugzeug am Flughafen Köln-Bonn geholt. Sie seien auf dem Weg in ein Terrorcamp in Pakistan oder Somalia gewesen, vermutete das Landeskriminalamt NRW. Auch damals reichten die Hinweise für eine Anklage nicht aus. Beide kamen auf freien Fuß.

Und auch eine zweite Spur ins islamistische Milieu ist aus Sicht der Ermittler keine heiße. Ein Abgleich von Mobilfunkdaten hatte zunächst einen vielversprechenden Treffer ergeben. Die SIM-Karte eines radikalen Islamisten war am Tag des fehlgeschlagenen Anschlags an der Funkzelle des Bonner Hauptbahnhofs geortet worden. Es ist das Handy von Mounir T..

Der 29-jährige Mounir T. gilt den Sicherheitsbehörden als relevante Person der Islamisten-Szene. Vor vier Jahren wollte sich der ehemalige Maschinenbaustudent in den Dschihad nach Pakistan absetzen. Die Eltern registrierten das Verschwinden ihres Sohnes und informierten damals voller Sorge die Behörden.

Die Nachrichtendienste setzten ihre Kanäle auf Mounir T. an und konnten ihn schließlich im Iran orten. T. war auf dem Weg per Schleuser ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet, vermutlich um sich dort einer Terrorgruppe anzuschließen.

Deutsche Sicherheitsbehörden halfen der Familie T. ihren Sohn noch im Iran zu kontaktieren. Die Schwester schärfte dem angehenden Dschihadisten Mounir ein, er solle nach Deutschland zurückkehren. Seine Pläne seien längst bekannt. Anfang April 2009 kehrte Mounir T. schließlich nach Deutschland zurück. Der Traum vom Dschihad war geplatzt.

Wieder in der Heimat löste sich T. allerdings nicht von der radikalen Islamisten-Szene im Rheinland. Im Gegenteil. Seit Herbst vergangenen Jahres ist der in Bonn-Tannenbusch wohnhafte Mounir T. verschwunden. In Sicherheitskreisen wird vermutet, dass sich Mounir T. samt Ehefrau nach Somalia abgesetzt hat. Vermutlich will der Islamist erneut in den Dschihad ziehen.

Wenn Mounir T. in Somalia ist, wer telefonierte aber dann mit seinem Handy am 10.Dezember 2012 am Bonner Hauptbahnhof? Die Ermittler glauben dass eine andere Person nun das Telefon von T. nutzt. Wer, das scheint bislang noch unklar. Auch ob diese Person eventuell mit dem Bombenleger in Verbindung steht.

Noch ermittelt der Generalbundeswalt in Karlsruhe gegen eine inländische terroristische Vereinigung, die für den fehlgeschlagenen Bombenanschlag von Bonn verantwortlich gemacht wird. Vielleicht, so heißt es aus Ermittlerkreisen, werde die Behörde den Fall jedoch schon bald wieder abgeben. Nämlich dann, wenn ersichtlich wird, dass die Hinweise auf eine politische Motivation für die Tat fehlen.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..