Jaras-Interview mit dem Vater des Kahrizak-Opfers Mohammad Kamrani

Veröffentlicht bei Kalemeh am 13. Khordaad 1389 (3. Juni 2010)
Anmerkungen in eckigen Klammern stammen vom Übersetzer

„Kahrizak ist ein schmerzvoller, aber auch historischer Fall in Irans Geschichte, und so lange die Schuldigen, diejenigen, die den Befehl zum Mord gegeben haben, nicht ihre Strafe bekommen, werden wir nicht zur Ruhe kommen. Deswegen rufe ich laut, damit die ganze Welt hört, dass mein Mohammad nicht einmal alt genug war, um wählen zu dürfen. Aber die Zivilagenten haben ihn verhaftet und gnadenlos geschlagen. Dann haben sie das Kind, das hohes Fieber hatte und im Koma lag, im Krankenhaus mit Ketten ans Bett gekettet, und beim Transport ins Mehr-Krankenhaus starb er.“

Mohammad Kamrani (Foto eingefügt von Julias Blog)

Dies sind die Worte Ali Kamranis, des Vaters von Mohammad Kamrani, dem 18jährigen Jungen, der am 18. Tir 1388 (9. Juli 2009) nach der Präsidentschaftswahl auf der Damaskus-Straße in Teheran von Zivilkräften verhaftet wurde und nach langer Folter im Gefängnis ins Krankenhaus gebracht wurde. Aber die Verletzungen waren so schwer, dass er im Koma starb, ohne sich von seinen Eltern verabschieden zu können.

Die Familien von Amir Javadi Far und Mohamad Kamrani, zwei der in der Haftanstalt Kahrizak ermordeten Gefangenen jungen Männer, sagten [der Webseite] Jaras gegenüber: „Die Hauptschuldigen im Fall Kahrizak sind die Richter, die den Befehl zur Verlegung der Verhafteten in diese illegale Haftanstalt gegeben haben.“

Mohammad Kamranis Vater sagt: „Nachdem ich von der Katastrophe erfahren hatte, habe ich in einem Brief an [den damaligen Justizchef] Hashemi Shahroudi Saeed Mortazavi als Haptschuldigen bezeichnet, weil er den Verlegungsbefehl gegeben hat.“

Denselben Brief hatte er auch an Ayatollah Khamenei geschrieben. Khamenei hatte darunter geschrieben, dass die Täter vor Gericht gestellt werden müssen.

Es folgt das Interview, das Jaras mit Ali Kamrani über den Fall Kahrizak den Fall seines Sohnes geführt hat.

Jaras:Herr Kamrani, das einzige Gericht, das den Mord an den Teilnehmern der Proteste nach der Wahl prüft, ist das Gericht für den Fall Kahrizak. Haben Sie Hoffnung, dass der Fall fair behandelt wird? Die Regierung hat diese Katastrophe ebenfalls entsprechend verurteilt.

Kamrani:Sie haben uns gesagt, dass das Urteil am Ende dieser Woche bekannt gegeben wird. Wir warten nun. Bei dem Prozess waren nur die anwesend, die die Befehle ausgeführt haben, die Auftraggeber waren nicht dort. Sie müssen auch vor Gericht gestellt werden. Diejengen, die den Befehl gegeben haben, Mohammad und seine Freunde nach Kahrizak zu verlegen. Diejenigen, die die Katastrophe aus der Nähe beobachtet haben. Mit ihnen muss man sich eingehend befassen, sie müssen vor Gericht stehen.

Jaras: Auf jeden Fall hat das islamische Parlament Saeed Mortazavi als den Richter genannt, der die Verlegung befohlen hat. Haben Sie Ihre Forderung, dass die für die Befehle Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden sollen, auch offiziell vorgelegt?

Kamrani: Ja, ich habe als ein Bürger einen Brief an Hashemi Shahroudi geschrieben, in dem ich den Namen Mortazavis auch genannt habe. Mohammads Akte bei der Justiz ist 80 Seiten stark, und sie wissen genau, was ich verlange. Ich bin auch einmal mit Ayatollah Khamenei zusammengetroffen, und er hat unter meinem Brief geschrieben, dass die, die an Mohammads Tod Schuld sind, vor Gericht gestellt werden sollen.

Jaras: Aber Herr Kamrani, wie Sie wissen, hat der Teheraner Generalstaatsanwalt damals in einem Brief an Justitzschef Larijani Kahrizak als ein legales Gefängnis bezeichnet und auch geschrieben, dass die Verlegung legal und notwendig war. Er ist jetzt Stellvertreter des Generalstaatsanwalts des Landes.

Kamrani: Der Fall Mortazavi wurde von vielen Seiten scharf kritisiert, auch von manchen Parlamentsabgeordneten. Was wir sagen ist klar: Die Verdächtigen sollen mindestens einmal verhört werden. Wir haben nichts gegen sie persönlich. Wir wollen nur, dass solche Katastrophen nie wieder passieren. So etwas darf nicht einmal einem wilden Tier widerfahren.

Jaras: Herr Kamrani, die Verhandlung fand hinter verschlossenen Türen statt. Was wurde vor Gericht gesagt, was wurde über die Vergewaltigungen und die Folter in Kahrizak gesagt?

Kamrani: Gott weiß, was mit uns los war, nachdem wir die Aussagen der Augenzeugen gehört hatten. Ich, Mohammads Mutter und seine drei Geschwister konnten in der Nacht nach der ersten Verhandlung nicht schlafen. Ich war wie verrückt, nachdem ich gehört habe, was passiert war. Alle bei uns zu Hause haben bis zum Morgengrauen geweint, nachdem wir begriffen hatten, was Mohammad erlebt hat. Ich bedanke mich herzlich bei dem Richter. Er hatte die Verdächtigen und Augenzeugen sehr gut und genau verhört.

Aber ich frage mich, warum die Aufnahmen von der Verhandlung nicht gezeigt werden. So würden alle wissen, was ihre Kinder dort erlebt haben. Der Richter hat trotz des ganzen Drucks die ganze Verhandlung sehr mutig und genau geführt. Ich verstehe nicht, warum die Verhandlung hinter geschlossenen Türen ablaufen musste. Man hat uns gesagt, es wäre sonst für die Regierung von Vorteil.

Jaras: Welche Themen wurden von dem Richter angesprochen?

Kamrani: Der Richter war sehr kompetent und wirklich extrem genau. Die Verdächtigen haben immer alles bestritten. Die Akte war insgesamt über 3000 Seiten stark, und er hat die Widersprüche in den Aussagen wirklich sehr geschickt aufgezeigt. Es gibt Videoaufnahmen von dem, was in Kahrizak passiert ist, und er hatte sie alle gesehen.

Jaras: Am 18. Tir sind auch viele Studenten verhaftet und von den Zivilagenten geschlagen worden. Trifft das auch auf Mohammad zu?

Kamrani: Mohammad wollte mit einem Freund zusammen lernen und sich auf die Aufnahmeprüfung vorbereiten. Er war ja noch nicht einmal volljährig und konnte nicht an der Wahl teilnehmen. Niemand weiß, warum er verhaftet wurde. Mohammad war im Gymnasium, als die Mörder in Zivil ihn festgenommen haben. Wenn sie nicht wollten, dass die Menschen auf die Straßen kommen, warum haben sie dann keine Sperrstunde verhängt?

Jaras: Was hat Sie in dieser Zeit am meisten getröstet?

Kamrani: Meine Frau ist depressiv geworden, wir alle sind depressiv. Wenn ich seine Augen vor mir sehe, werde ich verrückt. Dass alle, die daran beteiligt waren, rechtmäßig verurteilt werden und so etwas in diesem Land nie wieder passieren kann, ist für mich eine Art Trost.
Warum sagt niemand, wer diese Zivilagenten sind? Woher bekommen sie ihre Befehle?
Die Zivilagenten tun alles, was sie wollen, und wenn die Behörden dazu gefragt werden, sagen sie dass die Täter das im Alleingang gemacht haben.

Jaras: Manche Kläger haben ihre Anklage zurückgezogen. Wissen sie etwas darüber?

Kamrani: Ja, manche haben das getan, weil sie sich nicht sicher und bedroht fühlten. Sie hatten Angst. In den ersten Tagen haben die Behörden viel Druck auf uns ausgeübt, damit wir unsere Anklage auch zurücknehmen. Aber Gott sei Dank sind nach vielen Diskussionen auch Familien von anderen Verhafteten mit uns vor Gericht gezogen.

Jaras: Manchen Familien wurde vorgeschlagen, dass sie das Blutgeld von der Regierung akzptieren und die Anklage zurückziehen.

Kamrani: Sie trauen sich nicht, uns so etwas vorzuschlagen. Was soll das Geld? ich habe mein Kind verloren, und ich möchte, dass die Täter bestraft werden…

Jaras: Wie haben Sie Mohammad das letzte Mal gesehen? Was ist Ihr letztes Wort?

Kamrani: Mohammad war im Loghman-Krankenhaus. Er war bewusstlos und hatte sehr hohes Fieber, er lag im Koma. Aber trotzdem hatten sie ihn ans Bett gekettet. Warum muss ein so krankes Kind angekettet werden? Wir haben ihn ins Mehr-Krankenhaus gebracht, aber es war schon zu spät…

Übersetzung aus dem Persischen: Hadi, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben

2 Antworten zu “Jaras-Interview mit dem Vater des Kahrizak-Opfers Mohammad Kamrani

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