DER STANDARD-Kommentar: "Der Banker, dein Feind" von Eric Frey

“Die harte Kritik an Goldman Sachs zielt auf ein Grundproblem der Finanzindustrie”; Ausgabe vom 16.03.2012

Wien (ots) – Noch selten hat der Rücktritt eines Managers so viel Aufsehen erregt wie Greg Smiths Abschied von Goldman Sachs. Smiths Knaller war ein Gastkommentar in der New York Times, in dem er der mächtigsten Investmentbank der Welt vorwarf, die Interessen ihrer Kunden für den eigenen Profit zu opfern. Wirklich neu ist diese Botschaft nicht. Spätestens seitdem vor zwei Jahren bekannt wurde, dass Goldman kurz vor dem Platzen der Immobilienblase einigen Kunden hochspekulative Wertpapiere verkauft hat, gegen die die Bank dann gemeinsam mit einem Hedgefonds wettete, ist bekannt, wie Goldman seine Geschäftspartner behandelt. Aber gerade deshalb sind Smiths Enthüllungen so brisant: Ein Insider bestätigt, was an der Wall Street längst geflüstert wird. Die Betrugsvorwürfe der US-Börsenaufsicht konnte Goldman mit einer Zahlung von 550 Millionen Dollar entschärfen. Der jüngste Reputationsverlust könnte für die Bank noch teurer werden. Smith macht das jetzige Goldman-Management unter Lloyd Blankfein für den Verlust der Integrität verantwortlich und schwärmt von einer Zeit, in der die Bank noch alles für die Zufriedenheit ihrer Kunden tat. Doch der massive Interessenkonflikt zwischen Bank und Kunden ist weder auf die Wall Street beschränkt noch ein Auswuchs eines Jahrzehnts der Gier. Es liegt in der Natur der Finanzindustrie, dass Anbieter selten das gleiche Ziel verfolgen wie Kunden, sondern sich auf deren Kosten bereichern wollen. Auch ein Autohändler strebt nach möglichst hohen Gewinnmargen. Aber wenn der Wagen gut fährt, dann nimmt der Käufer das gerne hin. Bei Finanzprodukten ist die Rendite der einzige Nutzen. Und die Gewinne der Finanzindustrie – Produzenten wie Vermittler – entstehen vor allem dadurch, dass sie vom Profit des Kunden möglichst viel abschneiden. Dass das so leicht geht, liegt auch daran, dass man meist nicht im Vorhinein weiß, wie viel am Ende herausschauen wird. Durch das Risiko lassen sich Provisionen und Gebühren pro-blemlos verstecken. Gerade Produkte, die dem Kunden das Risiko abnehmen, sind dafür gut geeignet. Dazu kommt das Problem der asymmetrischen Information: Der Bankkunde weiß über das angebotene Produkt stets weniger als sein Berater. Das gilt auch für Patienten. Aber Ärzte schneiden zum Glück nicht bei jeder Arznei oder Behandlung direkt mit; und oft gibt es bei der Gesundheit objektive Kriterien für das, was verschrieben werden darf und soll. Im Finanzmarkt fehlt dieser neutrale Katalog. So wie Goldman-Kunden wurden auch Anleger in Österreich von Banken und Geldberatern über den Tisch gezogen oder zumindest schlecht bedient. Bei Goldman aber sind die Opfer selbst große Institutionen. Diesen Interessenkonflikt aufzulösen ist vor allem die Aufgabe der Gerichte, die auch in Österreich in den letzten Jahren eine Art zivilrechtliche Produkthaftung eingeführt haben. Aber auch die EU bemüht sich, mit neuen Regeln die Transparenz und Fairness bei Finanzprodukten zu erhöhen – Stichwort Mifid II. Aber ganz kann das nie gelingen. Die Hauptverantwortung wird daher auch in Zukunft bei den Kunden selbst liegen. Sie müssen auf der Hut sein und dürfen nicht aus Gier den Versprechen der Banker glauben. Wer Smiths Philippika liest, dem drängt sich nämlich eine Frage auf: Warum hat eine böse Bank wie Goldman nicht längst alle ihre Kunden verloren?

Rückfragehinweis: Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: https://www.ots.at/pressemappe/449/aom

 

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