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Neues SPIEGEL-Domizil in Hamburgs Hafencity, oder: Umzug in den „Palazzo Prozzi“

Dr. Alexander von Paleske — 9.11. 2011 — Vorgestern wurde mit viel Tam Tam der Umzug des SPIEGEL in sein neues Domizil in der Hafencity gefeiert:


„Palazzo Prozzi“, das neue SPIEGEL Domizil in der Hafencity

das alte SPIEGEL-Domizil in der Brandstwiete steht nun leer.


Altes Domzil: Fast ein bescheidener Sozialbau verglichen mit dem Palazzo Prozzi

SPD-Mann, Hoffnungsträger und frischgebackener Bilderberger Peer Steinbrück, gerade von Ex-Kanzler Helmut Schmidt zum Kanzlerkandidaten der SPD „gekürt“, war einer der Einzugs-Hauptredner.

Steinbrück fand freundliche Worte, auch ein Dankeschön, denn der SPIEGEL hatte sich offensichtlich ganz der Meinung des Menthol-Rauchers und Ex Kanzlers Helmut Schmidt angeschlossen: „Er kann es“, und gleich das SPD-Duo auf die Frontseite einer seiner Ausgaben gesetzt. Wie schön.

Man möchte dem SPIEGEL angesichts des Umzugs zurufen:. „Grösser ist nicht notwendigerweise besser“, aber das würde natürlich auf taube Ohren stossen, angesichts der grossen Umzugs-Euphorie.

Hommage oder Kredit?
Wenn man das neue SPIEGEL-Quartier sieht, dann stellen sich Fragen:

– Ist das eher eine Hommage an die Vergangenheit oder ein Kredit auf die Zukunft?

– Kann der SPIEGEL dem Schicksal vieler anderer Printmedien entgehen?

– Kann der SPIEGEL dem Trend der Zeit trotzen?

– Ist das neue protzige Domizil eher ein Ausdruck der gegenwärtigen und zukünftigen Grösse oder eher des Trotzes „Wir zeigen es Euch: das Printmedium SPEGEL hat Zukunft“

– Was hätte wohl SPiEGEL -Gründer Rudolf Augstein zu diesem Standort gesagt?

Man kann und konnte Augstein einiges vorwerfen, z.B. sein Tick mit den Ami-Schlitten in der Anfangszeit des SPiEGEL. Aber Protz war seine Sache nicht. Er hätte stattdessen nachgedacht, wie man den SPIEGEL fit macht für die Herausforderungen, die sich allen Printmedien mit dem Aufkommen des Internets stellen, in allerdings unterschiedlicher Schärfe.

Gerüstet für die Zukunft?
Der SPIEGEL lebt immer (noch) stark vom Nimbus der Vergangenheit, als er für das stand, was investigativen Journalismus ausmacht. Als SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein, der „Mann der den SPIEGEL machte“, auf der Kommandobrücke stand. Der – trotz seiner späteren Alkoholkrankheit – immer noch bessere Einfälle hatte, tiefschürfender argumentierte, als die meisten seiner Redakteure,und einst den SPIEGEL zutreffend das „Sturmgeschütz der Demokratie“ nannte.


Rudolf Augstein – Journalist des Jahrhunderts

In unzähligen Kolumnen schrieb Rudolf Augstein, zunächst unter dem Pseudonym Jens Daniel, und später unter seinem richtigen Namen, gegen den Muff der 50er und 60er Jahre an.

Der SPIEGEL heftete sich an die Fersen des Franz Josef Strauss und sein zweifelhaftes Netzwerk, an das noch einmal die Prozesse gegen dessen Spezis Karl Heinz Schreiber und Holger Ludwig Pfahls vor dem Landgericht Augsburg erinnern.
Augstein stand die SPIEGEL-Affäre des Jahres 1962 durch, in deren Verlauf er verhaftet wurde, und ging letztlich gestärkt aus ihr hervor. Der SPIEGEL wurde zur Institution, zu einem Bollwerk der Pressefreiheit, zum Hort des investigativen Journalismus, und Augstein im Jahre 1999 schliesslich zum „Journalisten des Jahrhunderts“ gewählt.


SPIEGEL vom 10.10.1962 „Bedingt abwehrbereit?“ , löste die SPIEGEL-Affäre aus

Augstein bekämpfte die Einführung des Euro, kritisierte den Einsatz in Afghanistan, und der verheissungsvolle Grünen-Aussenminister Joseph Martin (Joschka) Fischer hatte bei ihm schliesslich allen Kredit verspielt.

Augstein wurde für seine Haltung zum Euro selbst von SPIEGEL–Redakteuren heftig kritisiert, aber er liess sich nicht beirren, und schon gar nicht seine Kolumnen redigieren.
Schliesslich behielt er Recht, er erlebte es jedoch nicht mehr..

Derartiges unabhängiges Denken wird heute im SPIEGEL sehr vermisst.

Mehr noch
Unter der Führung des von Augstein durchgesetzten Chefredakteurs, des „Kampfzwergs“ Stefan Aust, hatte sich der SPIEGEL zu einem Lifestyle Magazin entwickelt. Politische Themen rückten in den Hintergrund, etwas, was ebenfalls bei der Wochenzeitung DIE ZEIT leider immer deutlicher zu beobachten ist.

So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass dieser Aust als Berater und Artikelschreiber nach seinem schon einige Zeit zurückliegenden Weggang vom SPIEGEL jetzt zur ZEIT kommt. Eine führende Wochenzeitung, die unter der Leitung des jetzigen Chefredakteurs Giovanni di Lorenzo, offenbar den Fetisch Auflage anbetend, sich zügig zu einem Musikdampfer entwickelt, und seichte Gewässer ansteuert.

Immerhin ist es Stefan Aust zu verdanken, dass der SPIEGEL den Angriff des FOCUS abwehren konnte, der ihm zwar nicht von der Höhe der Auflage, aber vom Anzeigengeschäft ganz gehörig in die in die Bredouille gebracht hatte.

Konkurrenten abgeschlagen
Heute ist FOCUS weit abgeschlagen, nachdem der SPIEGEL viel von dem sogenannten Info-Journalismus übernommen hatte, über den er sich seinerzeit noch lustig machte..

Gleiches gilt für den STERN, einst auf gleicher Höhe wie der SPiEGEL, auflagenmässig sogar lange Zeit stärker, der niemals wirklich zu seiner alten Form zurückfinden konnte, nachdem Gründer und Chefredakteur Henri Nannen das Steuer abgegeben hatte. Insbesondere nachdem die Redaktion auf die Hitler-Tagebücher reinfiel, und die Chefredakteure sich in kurzen Abständen die Klinke in die Hand drückten, also einer nach dem anderen nach kurzer Zeit verbraucht waren.

Plattformen statt Redaktionen
Der Gruner und Jahr Verlag, beim SPIEGEL jedoch nur Minderheitsaktionär, hat mittlerweile in seinen Printmedien das System der „Plattformen“ durchgedrückt: Weg mit den Medium-Redaktionsteams, die ausschliesslich für ein einziges Printmedium zuständig waren; stattdessen allzuständige Fach-Ressorts Dort werden jetzt auf Anforderung Artikel für alle im Verlag erscheinenden Medien verfasst.

Eigentümlichkeiten, verschworene Redakteursgemeinschaften mit Corps-Geist, für die seinerzeit der STERN und Henri Nannen sich die Bezeichnung einer „gemischten Raubtiergruppe“ einhandelten, sind bei Gruner und Jahr vorbei. Dies muss Auswirkungen haben, hat Auswirkungen.

Andere Verlage sind dem gefolgt, wie das Verlagshaus duMont Schauberg mit seinen Zentralredaktionen.
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Beim Spiegel ist das (noch) nicht der Fall, und das könnte, neben dem Vergangenheitsnimbus, einer der Gründe sein, warum ihn das Schicksal anderer Printmedien bisher ( noch) nicht ereilt hat.
Allerdings ist die Aufblähung in der Hamburger Hafencity wohl der falsche Weg.

Der SPIEGEL hat sich immer auch als Nachrichtenmagazin verstanden. Zwar sind viele Nachrichten, anders als früher, über das Internet abrufbar, aber sie können den Korrespondenten vor Ort nicht ersetzen, obgleich das viele Printmedien glauben und umgesetzt haben, um Kosten zu sparen..

Was dem SPiEGEL daher notgetan hätte, wäre ein deutlicher Dezentralisierungsdrive: Statt einer derartigen Zusammenballung auf einem Raum, viele dezentrale Redaktionen mit wesentlich mehr Auslands- und Regionalstandorten.

Das kostet auf Dauer Geld, mehr Geld als die Miete im Hafencity-Palazzo, hätte aber den SPIEGEL wieder interessanter gegenüber den anderen Printmedien gemacht. Diese schöpfen ihre Nachrichten aus dem Internet oder bekommen sie von den Nachrichtenagenturen angeliefert, und setzen dann bestenfalls noch ihren Senf dazu – wenn überhaupt-. Aber das gibt es mittlerweile schneller und kostenfrei bereits überall im Internet. Dazu braucht es keine Printmedien mehr.

Gebraucht werden Blicke hinter die Kulissen, investigativer Journalismus, tiefschürfende Artikel, und Journalisten die Trends und Interessantes vor Ort aufspüren.

Und es bedarf es mehr als eines Co-Chefredakteurs Georg Mascolo, der Themen wie „Bildzeitung“ und „Schlaflosigkeit“ in Zeiten des politischen Umbruchs und der globalen Wirtschaftskrise für interessant hält. Der – schlimmer noch – in einem Interview mit der Fachzeitung JOURNALIST auf mehrfaches Nachfragen zu einem Thema keine Antwort wusste oder geben wollte. Der ausserdem offenbar prinzipiell bereit war, den erbärmlichen Sarrazin-Deutschland-Abschaffungs-Quark – auch noch gegen Bezahlung – als Vorabdruck zu bringen.

Investigativer SPIEGEL -Journalismus verkümmert.
Der investigative Journalismus verkümmert derweil beim SPIEGEL. Als der Frachter Actic Sea im Juli 2009 in der Ostsee von im Dienste des israelischen Geheimdienstes Mossad stehenden baltischen Berufskriminellen gekapert wurde, da hätte Augstein oder auch Nannen sofort seine besten Spürhunde angesetzt, die ihm nach gründlicher Recherche mitgeteilt hätten: es war der Mossad, der den Transport der Boden-Luftraketen des Typs S300 in den Iran verhindern wollte.

Stattdessen brachte der SPIEGEL ein Interview mit dem russischen Vertreter bei der Nato, der sich als eine Art Baron Münchhausen gerierte und der SPIEGEL diese faustdicken Lügen auch noch druckte..

Grosse Enthüllungsgeschichten wie der Neue Heimat Skandal oder aber der Parteispendenskandal , die Affäre Barschel etc. sind kaum noch im SPIEGEL zu finden. Ebenso wenig deckte er den Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule auf, bzw. ging ihm nach, als vor mehr als 12 Jahren erstmalig Berichte darüber in der Presse auftauchten.

Das Magazin läuft das dem Publikumsgeschmack hinterher, aus Angst um die Auflage, statt ihn positiv zu beeinflussen.

„Palazzo Prozzi“, wohl doch eher eine (überflüssige) Hommage an die glorreiche SPIEGEL-Vergangenheit.

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