Bob Dylan, Visions Of Johanna, 1966
Text/Musik/ Bob Dylan
Produzent/ Bob Johnston
Label/ Columbia
Manche Texte versteht man besser, wenn man nicht genau hinschaut. Mir jedenfalls kommt „Visions Of Johanna“ vor wie ein psychedelischer Trip. Der Schauplatz wechselt ständig, man weiss nie, was der Text eigentlich sagen möchte. Zuerst sind wir in einem Raum mit hustenden Heizungsrohren, dann in einem Museum, dann vielleicht in einem Bild. Der verlorene Junge murmelt gegen eine Wand, anstatt mit dem Erzähler zu sprechen. Countrymusik dudelt vor sich hin, die Madonna zeigt sich nicht. Alles ist sinnlos, unzusammenhängend. Wie in einem explodierenden Bewusstsein, das die Wirklichkeit nicht mehr fassen, nicht mehr ordnen kann.
Was am Ende bleibt sind die Visionen von der mysteriösen Johanna. Dylan stellt sie der anderen Frauenfigur gegenüber: „Louise, she’s all right, she’s just near/ She’s delicate and seems like the mirror/ But she just makes it all too concise and too clear/ That Johanna’s not here.“ Louise scheint also sexuell verfügbar, sie ist körperlich anwesend, Johanna hingegen ist abwesend, sie ist die einzige, die ausserhalb der beschriebenen desillusionierenden Realität steht. Sie dient dem Erzähler als Ideal, womöglich als Inbegriff erfüllter Liebe und Sinnhaftigkeit, auf jeden Fall steht sie für ein vermeintliches Entkommen aus der als grausam empfundenen Wirklichkeit. Zugleich verfolgen, ja quälen den Erzähler seine Visionen, weil sie eben bis zum Ende das bleiben, was sie sind: Visionen.
Die Originalaufnahme von „Visions Of Johanna“ ist auf dem legendären 1966er Album „Blonde On Blonde“ zu finden. Die Live-Aufnahme von „Visions Of Johanna“ aus dem Album „The Cutting Edge 1965-1966: The Bootleg Series Vol. 12“ bekam zu recht ein eigenes Musikvideo. Es ist eines dieser Videos, die eine ungemeine Faszination ausüben. Dieses schöne und bildgewaltige Werk in Kombination mit Dylans surrealistischer Songpoesie ist eine tolle Arbeit.