Chor tag! Von 11-17 Uhr haben wir gesungen, geprobt, unser Wiedersehen gefeiert und getönt. Jetzt bin ich wieder Zuhause ganz bei mir, seelisch gut genährt und mit mir im Reinen. Der Chor, in dem ich seit etwa 12 Jahren mitsinge, ist kein gewöhnlicher Chor. Der Chorleiter beschreibt seine Aufgabe so: „Ich bin Anstifter zum freien Singen.“ Und ja, so hat es auch für mich begonnen, ich ließ mich bei seinen freien Singe Abenden anstiften, habe Feuer gefangen. Wir singen ohne Noten und meist ohne Blatt in der Hand.
Was da aus uns erklingt sind spirituelle Songs aus allen Kulturen und Religionen- Wechselgesang, Kanon, Mehrstimmiges, Song-Collagen, Herzenslieder u.v.m. und manchmal tanzen wir. 4-5 mal im Jahr treffen wir uns zum gemeinsamen Proben in einer kleinen evangelischen Kirche am Rande der Kölner Innenstadt. Dazu kommen zwei intensive Chorwochenenden.
Als Kind habe ich mit meiner Mutter, Oma und in der Kirche gesungen. Später in Köln am liebsten mit meiner Schwester Mo beim Spülen. Aber nur, wenn wir nicht gerade darüber stritten, wer Spülen darf und Abtrocknen muss. Als Ältere nahm ich mir das Recht heraus, darauf zu bestehen, dass ich spüle. Wenn wir uns darüber zu sehr in die Haare gerieten, sprach meine Mutter ein Machtwort. Meine Schwester ließ sich nur scheinbar darauf ein und knallte mir jeden zweiten Gegenstand zurück ins Spülwasser: „Das ist nicht sauber.“ Mehr gab es da nicht zu sagen. So kanalisierten wir unsere schwesterliche Konkurrenz. Wenn wir zusammen gesungen haben, waren wir ein Herz und eine Seele. Mit Inbrunst und totaler Hingabe sangen wir Kirchenlieder: „Großer Gott, wir loben dich…“ erschallte es in der Küche. Auch Kanons, Matrosenlieder, wie: „War einst ein kleines Segelschiffchen…“ und Volkslieder, „Aus grauer Städte Mauern…“ trällerten wir gerne. Die Mundorgel war uns bekannt.
Das alles war, bevor wir uns in Rocksänger und englischsprachige Bands verliebten.
Manchmal, sonntags, am Nachmittag war unser Haus voll, denn viele unserer Freunde kamen zu Besuch. Wir tranken Tee, rauchten, entzündeten Kerzen und lauschten Frank, der Gitarre spielte und dazu Popsongs sang. Es war jedes Mal das Ereignis der Woche.
Ich besuchte die Fachoberschule für Sozialpädagogik/ Sozialarbeit und absolvierte in der Klasse 11 ein schulbegleitendes Praktikum im Kindergarten. An einem Nachmittag im Advent war ich mit der sehr unruhigen Gruppe allein. Es regnete, so dass wir nicht draußen spielen und toben konnten. Wir setzten uns in einen Kreis, und ich sang mit den Kindern alle Advents -und Weihnachtslieder, die ich kannte. Die Kinder wurden ganz ruhig. Das war für mich eine gute Erfahrung, die ich im späteren Leben genutzt habe, wenn Streit und Unruhe überhandnahmen.
Viele Jahre später erblickten meine Kinder das Licht der Welt und brachten neue Töne und Klänge in mein Leben. Ich sang oft mit ihnen. Zunächst die alten Kinderlieder, später die modernen. An „Anne Kaffeekanne“ von Frederik Vahle erinnere ich mich besonders gern. Dann war lange Zeit Pause, bis ich nach einer schweren Erkrankung, das heilsame Singen für mich entdeckte und in einem ungewöhnlichen Chor zu singen begann.
Wir nennen und „Singen wie im Himmel-Chor Köln“ und wie Engel klingen wir auch manchmal. Ich singe Sopran und bin immer tief ergriffen und berührt, wenn wir mehrstimmig singen. Dieses Gewebe aus Klang ist wie ein Segen über uns, die wir in diesen Momenten eine dichte Einheit bilden. Benannt wurde der Chor nach dem Film „Wie im Himmel“ der in Schweden spielt. Besonders die letzte Szene im Film ist sehr beeindruckend. Ein Chor steht bei einem Wettbewerb auf der Bühne und wartet auf den Chorleiter, der nicht kommt. Was tun, alle warten, Zeit vergeht, die Spannung steigt. Da beginnt, eine Stimme im Chor zu summen. Nach und nach stimmen die anderen Chormitglieder ein, lassen mit ihrer Stimme heraus, was hinaus will. Ein wunderschöner mitreißender Klangteppich aus geflüsterten , gehauchten und gesungenen Tonsequenzen entsteht. Der Chor trägt sich selbst, auch weil die einzelnen Chormitglieder aufeinander hören und sich achten, weil sie sorgsam mit dem gemeinsamen Klanggewebe umgehen. Das vermittelt sich den Zuschauern. Sie lassen sich mitreißen, und stimmen mit ein. Am Ende, der Chorleiter ist nicht gekommen, gewinnt dieser Chor den Wettbewerb.
Dieses sogenannte „Tönen“ praktizieren und zelebrieren wir in unserem Chor regelmäßig. Immer ist es sehr innig. Ein bisschen schweben wir dann über der Erde und spüren, wie uns Flügel wachsen.
In der Stille danach, die wir auskosten, kommen wir langsam zurück in die Welt. Beim Schreiben dieses Textes sind mir noch viele musikalische Erlebnisse eingefallen, und ich habe festgestellt, das Singen und der Klang begleiten mich schon immer. Es gab gar keine wirkliche Pause.