Unternehmensmodelle im Wandel (5): Organisationen neu erfinden

Jede Organisation kann sich neu erfinden, meint Frederick Laloux in diesem faszinierenden Vortrag, in dem er sein Buch „Reinventing Organizations“ vorstellt.

Er hat ein Dutzend Organisationen erforscht, die sich einem neuen Führungsverständnis verschrieben haben. Diese Organisationen sind radikal anders. Aber sie werden von der Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen.

Zum Beispiel: Buurtzorg. Eine niederländische Organisation, die professionelle Nachbarschaftshilfe bereitstellt. Die Teams organisieren ihre Arbeit selber und achten selbstverantwortlich auf ihre Wirksamkeit.

Diese Art der Sozialarbeit gibt es in den Niederlanden schon seit dem 18. Jahrhundert. In den 1990er Jahren gab es Initiativen, die Arbeit nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten umzuorganisieren. Skaleneffekte nutzen, Arbeitsabläufe standardisieren, höherwertige von geringerwertigen Tätigkeiten unterscheiden, Call Center. Die Folge: Mitarbeitende und Klienten waren gleichermaßen unzufrieden. Die menschliche Begegnung hatte allzu sehr gelitten. 2006 hat sich eine kleine Gruppe zusammengetan und das Heft selber in die Hand genommen. Das war die Geburtsstunde von Buurtzorg. Heute, nur acht Jahre später, sind 80% der Professionellen in diesem Bereich der Sozialarbeit in kleinen selbstverantwortlichen Teams organisiert. Das sind ungefähr 8000 Menschen. Sie werden von einer kleinen Zentrale mit 25 Menschen betreut. Regiocoaches unterstützen die Teams beim Lernen der Selbstorganisation.

Andere Beispiele sind Morning Star, die Heiligenfeld Kliniken oder Patagonia. Experimentierende Unternehmen finden sich in den unterschiedlichsten Branche.

Nach der herrschenden Meinung über Führung funktioniert eine Organisation ungefähr so. Der Chef gibt die Vision vor und entwickelt eine Strategie zur Umsetzung dieser Vision. Laloux sieht das hintergründige Problem in dieser Grundauffassung.

Wenn man die Organisation als Maschine sieht, braucht sie ein Programm. Sonst tut sie nichts.

Anders ist es, wenn man Organisationen als lebende Systeme betrachtet. Eine Organisation, stellt Laloux fest, habe selbst einen Sinn für die Richtung, einen schöpferischen Impuls.

Sie hat etwas, das sie manifestiert sehen möchte.

Die Rolle der Führung ändert sich damit grundlegend: Hinhören, wohin sich die Organisation bewegen möchte, wo sie gewissermaßen „natürlich“ hinstrebt, was geschehen möchte. Sich damit verbinden. Strategie, Change Management, Planung – alles machen diese Organisationen anders.

Selbstmanagement ist ein wesentlicher Hebel der neuen Unternehmensführung. Es funktioniert in der Praxis z.B. mit dem „advice process“: Jede Person im Unternehmen kann jede Entscheidung treffen, auch Geld ausgeben, wenn sie den Rat der Menschen mit der relevanten Expertise eingeholt hat und von den Menschen, die mit der Entscheidung leben müssen. Das ist ein Prozess kollektiver Intelligenz.

Einer der wenigen Wege, eine solche Organisation zu beschädigen, ist, den „advice process“ zu missachten.

Viele Unternehmen sind heute unzufrieden mit der Hierarchie, mit Bürokratie,  Planungszyklen und Zielvereinbarungen. Aber viele gehen nur den halben Weg, so die Erfahrung von Laloux. Dann entsteht Chaos. Gefordert sei ein konsequentes Wechseln von einem kohärenten System zu einem anderen kohärenten System. Dazu sind alle Elemente der Steuerungslogik zu überdenken und neu zu justieren: Wie entscheiden wir? Wie investieren wir? Wie lösen wir Konflikte?

Ein Beispiel: Keine dieser Organisationen hat eine Strategie. Und alle sind außergewöhnlich erfolgreich. Sie haben eine sehr klare Intention, einen klaren Sinn. Keine Budgets, keine Ziele. Sie sagen: Alles, was wir in den Boden rammen, lenkt von der Realität ab.

Eine unabdingbare Voraussetzung für eine solch tiefgreifende Transformation könnte sich freilich schnell als Engpass erweisen. Der CEO und das Board müssen von dem Modell zutiefst überzeugt sein!

Siehe auch

Was gute Führung ausmacht (7): Scharmer und das Zuhören

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2 Gedanken zu „Unternehmensmodelle im Wandel (5): Organisationen neu erfinden

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