Europas Demokratiedefizit

Immer dann, wenn es in der Europäischen Union ums Eingemachte geht, vergessen die Mächtigen Europas kurzzeitig, dass die EU eigentlich der „Hort der Demokratie“ sein soll.

Bei der Bestzung des Chefsessels der Europäischen Kommission geht das Gemauschel hinter verschlossenen Türen weiter. Foto: Fred Romero from Paris, France / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Kaum ist der europäische Wahlkampf vorbei, während dem wir sehr oft gehört haben, dass wir künftig in einem transparenteren, demokratischeren, sozialeren richtig besserem Europa leben werden, wird der Schalter der europäischen Demokratie auch schon wieder auf „off“ gestellt. Denn wir Europäerinnen und Europäer durften zwar die Abgeordneten des Europäischen Parlaments wählen, doch die Besetzung der europäischen Spitzenposten, die behalten sich die Mächtigen Europas dann doch lieber für ihre Beratungen in den Brüsseler Hinterzimmern vor. Das Gezerre um diese Spitzenposten zeigt, wie ernst die Sprüche bis zum 26. Mai gemeint waren…

Zu besetzen sind die Posten des Präsidenten der Europäischen Kommission, Präsidenten des Europäischen Rats, Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Europäischen Außenministers und des Chefs der Europäischen Zentralbank EZB. Los geht’s mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission. Dies ist ein zentral wichtiger Posten in der EU, denn die Europäische Kommission ist nicht nur die einzige Instanz, die neue Gesetzesvorhaben auf den Weg bringen kann, sondern auch die Verwalterin des EU-Haushalts und die „Hüterin der Verträge“, was bedeutet, dass die Kommission darüber wacht, ob die europäischen Gesetze eingehalten werden. Momentan liefern sich die politischen Parteien eine Debatte darum, wer eigentlich überhaupt Kandidat sein sol, darf und kann.

Die großen Parteien beharren darauf, dass ausschließlich ihre Spitzenkandidaten für den Chefposten der Kommission kandidieren dürfen, wofür es allerdings nicht viel mehr Argumente gibt, als dass man damit sicherstellen kann, dass der Posten in den Reihen der ehemaligen großen Volksparteien bleibt. Die anderen, und das sind die Staats- und Regierungs-Chefs der 28 Mitgliedsstaaten (ja, 28, die Briten sind immer noch dabei), beharren darauf, dass sie und nur sie die Kandidaten benennen dürfen. Dafür gibt es nicht viel mehr Argumente als dass damit die mächtigen und einflussreichen Länder Europas, also Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien, untereinander die Besetzung dieser Posten aushandeln können. Diese Debatte interessiert niemanden, denn die Bürgerinnen und Bürger Europas interessiert weniger das, was am meisten den großen Parteien nützt, sondern das, was gut für Europa ist.

Dass man den Wählerinnen und Wählern genau wie 2014 vorgaukelt, dass sie mit ihrer Stimmabgabe auch den Präsidenten der Europäischen Kommission mitbestimmen, ist demokratischer Etikettenschwindel. Wieso kann der Präsident der Europäischen Kommission, der über die Macht verfügt zu entscheiden, was europäisches Gesetz werden kann und was nicht, der die Macht hat, die Mitgliedsstaaten zu sanktionieren oder nicht, dessen Wort bei den großen Orientierungen der europäischen Politik ein enormes Gewicht hat – nicht von den Bürgerinnen und Bürger gewählt werden?

Kaum haben alle von Transparenz geredet, geht es nun hinter verschlossenen Türen weiter. Da heißt es Macron gegen Merkel, alle gegen alle, und alles unter den spöttischen Blicken der klinisch bereits zurückgetretenen und trotzdem noch herumgeisternden Theresa May. Die Europäische Union gibt sich, genau wie 2014, einem unwürdigen und undemokratischen Spektakel hin.

Dass sich der Europäische Rat seinen Vorsitzenden selber wählt, geschenkt. Der Nachfolger von Donald Tusk ist eine Art moralische Instanz, ähnlich wie der Bundespräsident, Wer von den Mitgliedern des erlauchten Rats ihre Sitzungen leitet, das ist eigentlich egal. Dass das Europäische Parlament den Nachfolger von Antonio Tajani wählt, OK. Dass man für den Chefposten der EZB einen ausgewiesenen Finanzfachmann bestimmt, auf den sich die Mitgliedsstaaten verständigen können, völlig in Ordnung. Beim „Außenministerium“ der Europäischen Union ist es dann schon wieder kritischer. Kaum jemand hat die letzte Amtszeit der Italienerin Federica Mogherini mitbekommen und das liegt hauptsächlich daran, dass sie wenig Nennenswertes auf die Beine gestellt hat, abgesehen von mehreren Abkommen mit ostafrikanischen Diktatoren und Tyrannen, die sie großzügig mit Waffen, Geheimdienst-Technologie und Geld ausgestattet hat, damit diese uns die afrikanischen Flüchtlinge vom Hals halten. Dass die Mächtigen Europas bei ihrer Auswahl Fehler machen können, zeigt ja bereits das Beispiel Mogherini.

Sehr viel scheint die europäische Politik nicht vom Urteilsvermögen ihrer Bürgerinnen und Bürger zu halten. Europa wird dann demokratisch sein, wenn alle Europäerinnen und Europäer am gleichen Tag über transnationale Listen abstimmen und bei dieser Wahl auch gleich den Präsidenten der Europäischen Kommission wählen. Bis dahin versinkt die Europäische Union wieder im Brüsseler Sumpf der Interessen der „Märkte“ und der nationalen Interessen. Über die europäische Demokratie, Transparenz und das Europa der Bürger wird dann zu einem späteren Zeitpunkt gesprochen werden. Im Wahlkampf für die Europawahl 2024.

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