Ein etwas anderer Lesetipp: „Dire Nous“ von Edwy Plenel

Am Samstag stellte der Gründer und Chef der wichtigsten französischen Online-Zeitung „Mediapart.fr“ Edwy Plenel sein neuestes Buch in Straßburg vor – „Dire nous“ (Sag „wir“). Wer Französisch liest, sollte dieses Buch nicht verpassen.

Edwy Plenel (rechts Moderator Christian Bach) stellte am Samstag in Strassburg sein neues Buch "Dire nous" vor. Lesenswert. Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Edwy Plenel hat in Frankreich den Status eines Rockstars. Seine vor genau acht Jahren gegründete Online-Zeitung „Mediapart.fr“ (Glückwunsch zum Geburtstag!) gehört mittlerweile zu den meistgelesenen Zeitungen in Frankreich (bis zu 800.000 Leser täglich, mehr als 115.000 Abonnenten) und da „Mediapart“ in den vergangenen Jahren mit seinem investigativen Journalismus zahlreiche Skandale aufdeckte und Politiker zum Rücktritt zwang, genießt Edwy Plenel bei den Franzosen eine Art „Robin-Hood-Image“, an dem er zwar gar nicht interessiert ist, das er aber trotzdem nicht los wird. Am Samstag präsentierte er in der Strassburger Buchhandlung „Librairie Kléber“ sein neuestes Buch, „Dire nous“ (Sag „wir“) und wer in der Lage ist, auf Französisch zu lesen, der sollte sich dieses Buch besorgen. Es lohnt sich.

Für den Moderator der Veranstaltung, den hervorragenden Journalisten der Straßburger Tageszeitung „Dernières Nouvelles d’Alsace“ Christian Bach, war die Aufgabe einer Diskussionsveranstaltung alles andere als einfach. Denn Edwy Plenel gehört zu den Menschen, die etwas zu sagen haben und das tut er dann auch, ohne Notizen, ohne nach Worten zu suchen, und wenn er einmal spricht, ist es schwer, ihn in seinem Elan zu stoppen. Mit viel Fingerspitzengefühl schaffte Christian Bach es dann auch, Edwy Plenel die richtigen Stichworte zu geben und dann den Dingen ihren Lauf zu lassen. Eine Leistung, die auch einmal erwähnt werden darf.

Doch zurück zu Edwy Plenels Buch – der Titel „Sag wir“ ist ein Appell, nicht mehr in der Dimension „ich“ zu denken, sondern sich darüber bewusst zu werden, dass „wir“, also die Bürgerinnen und Bürger, eigentlich in unseren demokratischen Ländern der oberste Souverän sein sollten und dass unsere Wünsche und Vorstellungen einer lebenswerten Gesellschaft eigentlich das oberste Primat der Politik sein sollten. Doch stattdessen, wie Plenel ausführte, erleben wir, wie die Politik in unseren Ländern eine Taktik der Angst verfolgt, die sich in Frankreich beispielsweise im Ausnahmezustand niederschlägt, der den Behörden eine ganz neue Machtfülle einräumt, ohne aber die im Gegenzug versprochene Sicherheit gewährleisten zu können.

Dabei, und das ist ein interessanter Aspekt, schließt Plenel in „wir“ tatsächlich alle ein, sogar die Politik selbst. Er spricht sich gegen die ständigen Grabenkämpfe zwischen „denen“ und „uns“, zwischen „mir“ und „dir“ aus, will die Unterschiede zwischen den Menschen reduzieren und vertritt eine Gesellschaft, die mit ihren Unterschieden lebt. Zwar lobte er ausdrücklich in seinem Vortrag die Bundeskanzlerin Angela Merkel und deren „historische Entscheidung“, die deutschen Grenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen zu öffnen, gleichzeitig widersprach er aber der Kanzlerin und deren Aussage „Multikulti ist tot“, indem er unterstrich, dass unsere Gesellschaften heute per Definition multikulturell sind und dass es an der Zeit ist, dass sich dieser Umstand auch im gesellschaftlichen Leben niederschlägt.

Gewiss, in „Dire nous“ erkennen viele eine Utopie, die Plenel auch selbst offen darlegt. „Sag ‚wir‘, damit wir zusammen das ‚ja‘ wiederentdecken, das uns abhandengekommen ist, das ‚ja‘ eines in seiner Vielfalt geeinten Volks, damit wir uns um die dringenden und grundlegenden Dinge kümmern können: die Würde des Menschen, die Sorge um die Entwicklung der Welt und das Überleben des Planeten“. Eine Utopie? Natürlich ist das eine Utopie, doch in den heutigen Zeiten braucht man genau solche Utopien als Orientierungshilfe für uns alle. Und so ist „Dire nous“ ein Buch, das man allen ans Herz legen kann, die der französischen Sprache soweit mächtig sind, dass sie ein französisches Buch lesen können. Denn Sie werden feststellen, dass das, was die Franzosen bewegt, am Ende des Tages das ist, was uns alle bewegt. Was dann vielleicht auch einmal eine Erkenntnis werden könnte, die der Ausgangspunkt für eine gemeinsames, europäisches Politikverständnis ist. Und das wäre doch mal eine Alternative zu all den “alternativlosen” Ultranationalisten, die gerade dabei sind, unseren Kontinent zu ruinieren.

Dire Nous
Von Edwy Plenel
Editions Don Quichotte
ISBN 978-2-35949-547-8
15 €

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