Die EU wird zum Streichelzoo für Neonationalisten

Um ja keinen offenen Streit um demokratische Werte loszutreten, will die EU voraussichtlich keine Sanktionen gegen Polen beschließen. Wer braucht schon demokratische Werte in Europa… ?

Sorgenvoller Blick - Jean-Claude Juncker sieht zu, wie das Gewicht der EU täglich geringer wird. Foto: David Plas, European People's Party / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Jean-Claude Juncker, der Präsident der Europäischen Kommission, der obersten Hüterin der Europäischen Verträge, will keinen Stress. Doch genau den hatten zahlreiche Politiker, allen voran der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger, gefordert – nachdem die neue, neonationalistische Regierung Polens erst das Verfassungsgericht des Landes entmachtet und dann ein neues Mediengesetz verabschiedet hatte, mit dem die Regierung die Kontrolle über die Medien übernimmt, gatte Oettinger gefordert, die EU möge die polnische Regierung „unter Aufsicht“ stellen. Was dann die Vorstufe zu Sanktionen gegen Polen gemäß Artikel 7 der Europäischen Verträge wäre. Aber so viel Stress will Jean-Claude Juncker dann auch wieder nicht.

Das Lieblingsinstrument der Europäischen Institutionen, wenn es hart auf hart kommt, ist die wachsweiche Protestnote, die immer gut klingt, aber niemanden zu irgendetwas verpflichtet. Denn dann kann man sagen, dass man ja reagiert habe, ohne dass jemand aktiv werden müsste. Genauso verhält sich die EU nun auch zum Thema Polen, nachdem das Land aus der Riege der demokratisch orientierten Länder ausgeschert ist.

Doch wie will „Europa“ den Rest seiner ohnehin schon angeschlagenen Glaubwürdigkeit retten, wenn es seinen Mitgliedern gestattet, die heiligsten Grundprinzipien der Demokratie über Bord zu werfen? Ob nun Ungarn, dessen Regierungschef Viktor Orban sich selbst stolz als „Antidemokraten“ bezeichnet, ob die Tschechische Republik mit ihrem realitätsfremden Präsidenten Milos Zeman, der die aktuelle Flüchtlingswelle als „organisierte Invasion“ bezeichnet oder Robert Fico, der Premierminister der Slowakei, der sogar Klage gegen die EU eingereicht hat, um ja keine Flüchtlinge aufnehmen zu müssen (nachdem er befürchten muss, dass die 8 moslemischen Flüchtlinge, die sein Land 2015 aufgenommen hat, sein Land „islamisieren“…) – der Osten Europas entwickelt sich mehr und mehr zur Bühne für rechtsextreme Nationalisten, bei denen man sich fragen muss, was sie eigentlich in Europa zu suchen haben. Außer natürlich, dass sie die Hand aufhalten, wenn Brüssel Milliarden verteilt. Ansonsten haben diese Länder mit den „europäischen Werten“ herzlich wenig zu tun.

Polen hatte auf die Kritik aus Deutschland heftig reagiert und unterschwellig die „Nazi-Karte“ gezogen. „Ausgerechnet Deutschland sollte sich uns gegenüber zurückhalten“, hörte man aus Warschau, wo der deutsche Botschafter einbestellt wurde und wo man deutlich machte, dass jede Kritik an Polen mehr als unwillkommen sei. Dass gestern in Brüssel eine erste „Orientierungsdebatte“ zum Thema Polen stattfand, interessiert niemanden – denn in Warschau weiß man, dass sich Jean-Claude Juncker nicht für Sanktionen begeistern lassen wird, denn das hatte er bereits in der letzten Woche deutlich gemacht.

Also wird man nun in Brüssel weiterhin seinen Unmut über die Entwicklung Polens hin zu einem totalitären Staat kritisieren und vor allem eines tun: nichts. Zumal die nach Artikel 7 möglichen Sanktionen, die bis zum Entzug des Stimmrechts in Europa gehen können, einstimmig getroffen werden müssen. Und da völlig klar ist, dass Ungarn, Tschechien und die Slowakei auf keinen Fall solchen Sanktionen gegen Polen zustimmen würden, hat Warschau nun freie Hand, die EU am Nasenring durch die Manege zu führen.

Und weil Deutschland ein schweres historisches Erbe gegenüber Polen trägt, überschlagen sich die Politiker aller Couleur mit freundlichen Hinweisen darauf, dass man sich gegenüber Warschau „nicht im Ton vergreifen“ dürfe. Denn das wäre schlecht. Schlechter als die Abschaffung der Demokratie in Polen, wo man gespannt sein darf, was die nächsten repressiven Maßnahmen von Kaczynski & Co. sein werden. Im Verhältnis zu diesen vier Ländern, die gerade die „europäischen Werte“ auf den Kopf stellen, zeigt sich einmal mehr, dass die EU zu einem zahnlosen Tiger geworden ist. Dessen Meinung leider niemand mehr sonderlich interessiert.

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