Stammheim – die Geschichte eines ungewöhnlichen Prozesses

Die Freiburger Theatertruppe „Die Immoralisten“ zeigt bis einschließlich Samstag das Stück „Stammheim“ , eine Rückschau auf den „Deutschen Herbst“.

Die Journalistin Ulrike Meinhoff war am Ende auch in der RAF-Führungsriege isoliert. Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Es war ein historischer Fehler, als die Rote Armee Fraktion (RAF) Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre glaubte, dass der Staat mit Waffengewalt zu einem Politikwechsel zu zwingen sei. Die Gewalt, mit der die Protagonisten gegen den Staat und seine Vertreter vorging, sollte sich am Ende gegen die RAF selber wenden. „Stammheim“, das Stück der Freiburger „Immoralisten“, beschäftigt sich aber auch mit dem menschlichen Aspekt des Prozesses um die vier führenden RAF-Köpfe, deren Selbstmord im Hochsicherheitsgefängnis Stammheim bis heute angezweifelt wird und nicht zufriedenstellend aufgeklärt wurde.

Im Mittelpunkt des Stücks steht die wohl komplexeste Persönlichkeit der ersten RAF-Generation, die Journalistin Ulrike Meinhoff, die anders als Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe viele der eigenen Aktionen auch kritisch hinterfragte, was ihr im Gefängnis und während des Prozesses eine Art Isolation und den Vorwurf des Verrats seitens ihrer Genossen einbrachte. Unabhängig vom tragischen Ausgang der Haft dieser vier, zerbrach Ulrike Meinhoff bereits während des Prozesses. Vermutlich hatte sie verstanden, dass der von der RAF gewählte Weg ins Nichts führte und die Erkenntnis, ihre Existenz einem Irrweg geopfert zu haben, muss Ulrike Meinhoff unendlich belastet haben.

Das Stück zeichnet sowohl den Prozess nach, der letztlich zu einer Farce verkam, von den RAF-Terroristen als Plattform für Provokation und verschrobene politische Erklärungen, von der Staatsanwaltschaft zum Statuieren eines Exempels missbraucht wurde. Ebenso interessant und im Stück großartig dargestellt ist der gruppendynamische Prozess innerhalb der RAF-Führungsebene. Der Kleinkriminelle Andreas Baader, dessen politische Motivation hinterfragt werden muss, der politische Überzeugungstäter Jan-Carl Raspe und die Hardcore-Terroristin Gudrun Ensslin hielten eine große Distanz zur Intellektuellen Ulrike Meinhoff, die im Verlauf der Haft und des Prozesses den letzten Halt verliert, der ihr geblieben ist.

Heute, mehr als eine Generation nach dem „Deutschen Herbst“, ist es angebracht, dieses Drama unter neuen Gesichtspunkten zu behandeln. Denn auch, wenn die RAF sich in den eingesetzten Mitteln täuschte, war die Motivation für ihr Tun durchaus politisch verständlich. Die Tatsache, dass wir uns heute achselzuckend mit den unglaublichsten Schweinereien des Kapitals und der Politik abfinden, bedeutet nicht, dass jemand, der diese Umstände zu bekämpfen sucht, Recht hat. Alleine – sich selbst wie das „Schweinesystem“ zu verhalten, führt auch nicht zu Lösungen.

Das Stück, das eine künstlerische Aufarbeitung des RAF-Prozesses ist, bietet neue Denkansätze für die Analyse des „Deutschen Herbsts“. Und einen Einblick in die Psyche der wohl bekanntesten deutschen Nachkriegs-Terroristen. Großartig interpretiert, großartig inszeniert – dieses Stück lohnt den Besuch.

Freitag 28. und Samstag 29. November, jeweils um 20 Uhr
Stammheim
Theater der Immoralisten, Freiburg
Tickets und weitere Informationen unter www.immoralisten.de.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste