Der Lohn der Reparatur

Was gibt es uns Menschen, wenn wir Dinge reparieren und sie nicht achtlos wegwerfen? In seinem Buch „Die Kultur der Reparatur“ macht sich Wolfgang M. Heckl eine ganze Reihe von Gedanken. Im vorletzten Kapitel dieses bemerkenswerten Buchs, über das ich schon einige Blogbeiträge schrieb, setzt er sich mit den Motivationsfaktoren auseinander, die sich beim Reparieren einstellen:

imageGemeinschaft: zwei Augen sehen viel, vier sehen mehr und viele Augen fast alles! Das ist meine Erfahrung im Beruf. Nicht umsonst gibt es so etwas wie Schwarmintelligenz. Denken wir nur an Wikipedia: kaum ist ein Begriff angelegt und definiert, wird er schon von anderen Benutzern erweitert, revidiert, erneuert und angepasst. Dadurch kommt Wikipedia mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit auf „iterative“ Art und Weise qualitativ an das Niveau von gestandenen Enzyklopädien heran, an denen Heerscharen von Historikern jahrelang arbeiten. Heckl betont ganz besonders, dass Wissen aus Büchern zwar wertvoll ist, jedoch nicht über die Erfahrung des Teilens von Fertigkeiten und Wissen in einer Gruppe hinausgeht.

imageKreativität: „Reparieren ist ein tatkräftiges Eingreifen, es ist das kreative Beenden von Fehlzuständen, ein Suchen nach Alternativen.“ Wer ohne Reparaturanleitung arbeiten und bei erfolgloser Suche nach Ersatzteilen improvisieren muss, wird zwangsläufig kreativ werden müssen. Vorsichtig tastend nähert man sich der erfolgversprechenden Lösung eines Problems an und lernt dabei unheimlich viel.  Das gilt nicht nur für einen selber, sondern für alle Beteiligten! Vor allem Kinder und Jugendliche können hieraus einen großen Nutzen für ihr weiteres Leben ziehen.

imageAutonomie: ein Problem zu analysieren, den Fehler zu erkennen, geeignete Strategien zum Beheben des Fehlers zu entwickeln, zur Tat zu schreiben und dann Erfolg zu haben: das beflügelt. Es gibt uns das Gefühl, keine Konsumsklaven, sondern autonome Menschen zu sein!

imageHingabe, Sorgfalt und Erfolg: Die Medienerziehung in den Schulen ersetzt zunehmend den Handarbeits- und Werkunterricht. Medienerziehung ist wichtig, doch ist eine Erziehung zur Selbständigkeit weit mehr als der einseitige Umgang mit technischen Kommunikationsmitteln. Dazu schreibt Heckl: „Das Bewusstsein nimmt zu, dass mit dem (weniger werdenden) erlernten Herstellen mit eigenen Händen ein spezifischer pädagogischer Wert verloren gegangen ist.“ Und weiter: „der Computer ist dagegen Ausdruck einer Wissenswelt, einer Wissensarbeit. Zwar mache ich etwas Manuelles, wenn ich Tasten drücke oder mit der Maus klicke, aber damit hat es sich dann auch schon. Alles andere spielt sich im Virtuellen ab.“ Er spricht sich klar dafür aus, dass Geistes- und Handarbeit als zwei Seiten einer Medaille begriffen werden sollten.

imageBauklötze statt Bildschirme: Ein Appell geht an die Eltern, Kindern die Möglichkeit zu geben, an Werkbänken zu arbeiten, sie in Handarbeiten einzuführen, ihnen vorzuleben, dass man nicht alles neu kaufen muss, sondern reparieren kann. Lego fördert die handwerkliche Kreativität, doch leider setzt man inzwischen viel zu stark auf Fertigbauten, z.B. Space Shuttles oder Schiffe mit vielen Kleinstteilen. Wir hatten als Kinder eine große Kiste mit Bausteinen und einigen Spezialteilen, das war’s. Damit haben wir die tollsten Sachen gebaut! Die Space Shuttles unserer nun erwachsenen Kinder hingegen lagern halb zusammengebaut im Keller, weil einige Kleinstteilchen nicht mehr auffindbar sind. Ich habe mit der Strickliesel als Kind endlose bunte Bandwürmer gestrickt, die kein Mensch brauchte, aber egal – es hat einfach Spaß gemacht! Bau- und Experimentierkästen können verborgene Talente wecken (oder auch nicht – bei unseren Jungs weckte dies beispielsweise keine Leidenschaft, weil ihre Interessen anders liegen – aber wir haben es wenigstens probiert!). Auch können Besuche in Museen, die den handwerklichen Tätigkeiten gewidmet sind, Augen öffnen, Saiten zum Schwingen bringen.

imageKonzentration: „Reparatur ist ein Kreislauf von Analyse, Strategie, Implementierung und Erfolgserlebnis. Dies ist eine Art Wertschöpfungskette. Das analytische Denken muss man üben“, schreibt Heckl. Die Mediengeneration lernt schnell zu sein, aber nicht gründlich. Jugendlichen fällt es schwer, sich über einen längeren Zeitraum mit einem Thema zu beschäftigen und sich zu konzentrieren. Zu sehr sind sie gewohnt, Informationen häppchenweise präsentiert zu bekommen. Das Reparieren kann ein guter Weg sein, Konzentration, Durchhaltevermögen und Bewältigungsstrategien zu üben.

imageAuf den Schultern von Giganten: wer regelmäßig repariert, bekommt das Ende eines Wollknäuels in die Hand: in den Jahrtausenden vor uns haben schon viele schlaue Menschen über vieles nachgedacht. In einer Kultur der Reparatur öffnet sich eine Tür hin zu altem, aber bei weitem nicht veraltetem Wissen. Es lässt sich ein Brückenschlag zu aktuell in der Schule Erlerntem herstellen und es hilft, die eigenen Reparaturprojekte in ein großes Ganzes einzuordnen.

imageGlück: Dass das eigene „Anpacken“ biochemische Reaktionen im Hirn auslöst ist fantastisch, finde ich. „Wer repariert, macht vor allem, aber nicht nur im Erfolgsfall positive Erfahrungen, die sich in unser Gehirn einschreiben. Es werden chemische Stoffe ausgeschüttet, Botenstoffe, winzige Moleküle, die von einer Nervenzelle zur nächsten übergehen und somit Informationen weitergeben.“  Der Botenstoff, der freigesetzt wird, heißt Dopamin. Es ist ein Erreger, ein Motivator und ein Stimulator für den Körper, der zu einer höheren Begeisterung, Wachsamkeit und zu verstärkter Sensibilität führt. Durch Dopamin sind wir voll bei der Sache, optimistisch, voller Selbstvertrauen und gespannter Erwartung. Weil sich das gut anfühlt, möchte man es wiederholen. „Euphorie auslösende Reparaturerfahrung führt dazu, dass sich die positiven Eindrücke im Menschen verstärken.“

Mit diesem letzten Punkt endet das Kapitel und ich bin – natürlich mit einem Augenzwinkern! – versucht zu sagen: Leute, lasst und das „Reparatur-Doping“ einführen… Ganz ohne Risiken und Nebenwirkungen!!!

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Zum Buch „Die Kultur der Reparatur“ von Wolfgang M. Heckl schrieb ich bisher folgende Beiträge:
Die Kultur der Reparatur – Einführung
Arbeitsteilige Fertigung vs. Ganzheitlichkeit
Geplante Obsoleszenz – eingebaute Schwachstellen in Geräten
Die großen Hebel für kleine ökologische Fußabdrücke
Irreparables Design – muss das sein?
The world in our hands
9 Schritte zum erfolgreichen Reparieren

7 Gedanken zu „Der Lohn der Reparatur

  1. Hi. Ein sehr gelungener Artikel. Gerade die Tage dachte ich über das Reparieren nach und dass viele Fertigkeiten, die z.B. mein Vater noch selbstverständlich konnte, nach und nach verlorengehen. Ich bin froh, dass meine Kinder wissbegierig sind und mit Vorliebe Dinge erfinden, konstruieren, gestalten und werkeln. Gerade sind sie an einer Seifenkiste dran. Mit dem Ziel, ein Seifenkistenrennen im Sommer zu fahren. 🙂 lg

    • Hallo Trix
      vielen Dank für Deine Rückmeldung! Wir haben in der Nähe eine ganz tolle Einrichtung, das Tüftellabor Einstein. Dort stehen in mehreren Räumen Werkstätte zur Verfügung, zum Schreinern, Nähen, Basteln, für Elektronik, zum Löten usw. Auch sind immer ein paar Coaches da. Die Kinder können nach der Schule dort hin und frei gestalten – nicht eingepfercht in einen Werkunterricht, wo man etwas nach Schema machen muss (was auch gut ist, weil es handwerkliche Tätigkeiten förder), sondern wirklich frei. Dabei inspirieren sich die Kinder gegenseitig. Du kannst Dir nicht vorstellen, was da für tolle Sachen entstehen!
      Meine Firma hat vor ca. 2 Jahren mal einen Innovationspreis vom Kanton über 25’000 Franken gewonnen und wollte ihn weiterspenden. Da hatte ich das Tüftellabor vorgeschlagen und sie haben es dann dieser Einrichtung gespendet, das hat mich sehr froh gemacht.
      Wie schön, dass Deine Kinder so gerne kreativ arbeiten, das muss man fördern und unterstützen.
      Liebe Grüsse, Cornelia

  2. Pingback: Die Sonntagsleserin KW 15 | widerstandistzweckmaessig

  3. Hallo Cornelia!

    Wie immer ein genialer Beitrag, also wirklich ganz mein Ding! Nicht umsonst liebe ich diese Repair-Cafes und versuche alles, was irgendwie kaputt ist auch wirklich selber wieder zu reparieren.

    btw. Mein Mann sitzt gerade an meiner Computermaus, weil die kaputt ist 😉

    Die Sache mit der Kreativität möchte ich auch gerne hervorheben, weil für mich Reparieren wirklich ganz viel damit zu tun hat. Und den Glücksfaktor – ich finde es unheimlich erfüllend wenn etwas weiter funktioniert.

    lg
    Maria

    • Liebe Maria
      Ich danke Dir für Deinen Kommentar! Ich habe es leider immer noch nicht geschafft, in ein Repair Café zu gehen… Hab’s aber vor! Zunächst bin ich über Ostern in Kolumbien und hab Urlaub, juhui!!!
      Mein Reparaturobjekt, das ich hierher mitgebracht habe, ist eine Bluse, schwarz mit feinen weissen Streifen, die ich sehr liebe. Leider löst sich am oberen Teil der Manschetten der Stoff auf (keine besonders gute Qualität…). Nun habe ich einen weissen Stoff mit rosa/roten Punkten organisiert, der wird auf die Manschetten aufgenäht. Zusätzlich möchte ich noch den Stoff im Innenrand des Kragens und auf der Knopfleiste und dann noch die Knöpfe mit Garn in diesem rosa/roten Ton annähen und die Knopflöcher damit umsäumen. Ich bin sicher, das wird total gut aussehen 🙂
      Weil ich überhaupt keine Zeit hatte in letzter Zeit, werde ich es hier um die Ecke bei einem Änderungsschneider machen lassen. Mal schauen, ob er sich zur Beantwortung von ein paar Fragen und ein paar Fotos hinreissen lässt. Vielleicht schreibe ich ja doch einen Beitrag, auch im Urlaub 🙂
      Lass Dich herzlich grüssen, Cornelia

      • Nachtrag: Er hat sich gefreut und stellt sich für eine kleines Interview gern zur Verfügung. Und ich habe gelernt, dass die Farbe der Punkte auf dem weissen Untergrund „Fuchsia“ heisst 😉

      • Hallo Cornelia!

        Da bin ich ja mal sehr gespannt, wie das wird. Ich hoffe Du machst vorher/nachher Fotos und teilst sie mit uns!

        Und vor allem wünsche ich Dir einen wunderschönen Urlaub!!!

        lg
        Maria

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