Ein Achtel Lorbeerblatt

Der Liedermacher- & Kleinkunstblog von David Wonschewski

„Damit ich ganz allein Musik machen kann“ – Heiniger trifft Roger Stein.

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Im Raum stehen zwei Klavierstühle und ein Flügel. An der Wand hinter dem Instrument hängt ein Poster mit dem Weltball, über welchem geschrieben steht: „Rettet euch selbst, ich komm schon klar!“ Heiniger und Stein bestellen kühle und warme Getränke. Aber keiner bringt was, denn es ist keiner da. Doch Pianisten sind Abenteurer, die sich von der Einsamkeit nicht schrecken lassen; das hat sie ihr Instrument gelehrt. – Und so trinken sie eben nichts. Was bleibt, sind schwarze und weisse Tasten und ein paar kollegiale Worte.

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Markus Heiniger (MH) Ciao Roger

Roger Stein (RS) Servus.

MH Habe ich Roger (englisch, Rotscher) übrigens richtig ausgesprochen? Oder nennst du dich französisch (Rosché)? Oder deutsch Roger, so wie man es schreibt?

RS Französisch. Ich bin ja auch Schweizer, da kommt das öfter vor. (lacht) Aber ich hab kein Problem mit englisch Roger. Nur deutsch, das mag ich nicht so gerne.

MH Du singst deine Lieder ja auch am Piano! Was schlägst du vor? Spielen wir vierhändig und retten zusammen die Welt? Oder trinken wir zuerst noch „ein Kaffee“, wie du es in einem deiner Lieder dauernd tust, um das Weltretten hinauszuzögern?

RS Also ehrlich, am liebsten wär mir ein kühles Bier. Diese Welt ist nicht zu retten. Wir könnten versuchen, UNS zu retten.

MH So retten wir also bier- und kaffeetrinkend, ich bestell mir einen Espresso, unsere eigene Haut. Schütten wir nichts auf die Tasten. – Wenn uns denn jemand was bringt. Ist bis dann Dorisch ok. zum Improvisieren? Sonny Burkes „black coffee“ (1948) spielt zwar, wenn ich mich richtig erinnere, auf den schwarzen Tasten von Des- Moll, aber so dunkel braucht das Bier und so schwarz der Kaffee nun auch wieder nicht zu sein,oder? – Hast du übrigens schon Klavier gespielt, als du noch reine, weisse Milch trankst?

RS Als ich ungefähr vier Jahre alt war, wollte ich schon unbedingt Klavier lernen. Meine Mutter hat mich also zu einem Klavierlehrer gebracht, und der dachte natürlich zuerst, da ist schon wieder so eine doofe „Mein-Kind-muss-ein-Genie-werden“-Mutter, und hat mich also gefragt: „Und warum willst Du Klavier lernen?“ Und ich hab voll Überzeugung gesagt: „Damit ich ganz allein Musik machen kann!“

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MH Mich haben das meine Eltern gefragt, weil ich unbedingt ein Klavier haben wollte. Und ich antwortete ihnen, weil man daran sitzen  kann. Ihnen leuchtete das weniger ein als mir, aber sie wurden weich. Wie gefällt dir übrigens Schuberts Winterreise? Ich weiss, das kam jetzt etwas unvermittelt.

RS Da treffen wir uns, auf die steh ich sehr, – aber ich bin in meiner Musikwahl sehr äh…bunt gemischt. Ich liebe die klassische Musik, bin auch ein grosser Fan von Barockmusik, genau so gerne höre ich aber Hiphop, überhaupt Musik, die den musikalischen Erwartungshorizont ein bisschen sprengt – nur den späten Jazz des 20 Jahrhunderts finde ich ein bissel verkopft. Meine Frau liebt die typischen Standards, wie etwa „Black Coffee“ – das hätte sie jetzt sofort angesungen und eine Zigarette angezündet – auch ohne Liebeskummer, wie er im Lied angesprochen wird.

MH Aber kommen wir, um es mit deinen Worten zu sagen, zu „Schnee von morgen“: Du tratst unlängst bei „Songs an einem Sommerabend“ (6. und 7. Juli 2012 vor dem Kloster Banz in Bad Staffelstein) auf. Wie kamst du zu diesem Engagement? – Schön, oder?

RS Ich habe ja diesen Preis der Hanns Seidel Stiftung bekommen; so. – Open Air ist erstens sowieso immer schön, dann noch so ein grosses, dann diese wirklich die Seele streichelnde Wertschätzung, dass ich so einen Preis bekomme, und dann traf ich wieder Konstantin Wecker, den ich überaus schätze und durfte noch dazu mit ihm zusammen auf einer Bühne sein – das alles war wirklich etwas ganz Besonderes für mich.

MH Auch er spielte ja zuweilen mit Cello, Bläsern etc. Aber du spielst ja jeweils mit deinen „eigenen“ Musikern! Wer sind sie?

RS Also, beim Kloster Banz spielte ich ganz allein – ohne Band. Das hatte organisatorische Gründe – aber es ist natürlich einfach schön, dass das eben mit einem Flügel nie ein Problem ist.

MH Was du ja schon in deiner ersten Klavierstunde wusstest…

RS (Lächelt). Normalerweise trete ich ja mit meiner Frau Sandra Kreisler auf, sie ist die Frontfrau und meine erste und wichtigste Kritikerin und, wenn man so will, Lektorin. Sie gibt, wie ich gerne sage, den Goldstaub auf meine Lieder, feilt mit mir sehr oft noch herum, bevor ein Lied fertig ist und bringt sich sehr ein. Sie hat natürlich auch dann, für die Shows, ganz viel Bühnenerfahrung was sehr hilfreich ist. Wir ergänzen uns wunderbar. Und dann spielen wir zusammen mit Geige, Cello und Schlagzeug, im Moment haben wir da eine tolle Band beisammen, (Marcus Hagemann, an Cello und Basscello, Sebastian Caspar an der Geige und Gitarre und Martin Fonfara an den Drums) aber die wechseln auch immer wieder mal: Wir brauchen nämlich immer ganz besonders gute und vielseitige Musiker, die müssen wirklich klassisch ganz firm sein, weil ich sehr komplexe Streicharrangements schreibe, aber sie müssen eben auch grooven können – und so tolle und vielseitige Musiker sind sehr selten und haben deshalb meistens auch viel zu tun. Also haben sie nicht immer Zeit, und deshalb haben wir zwar eine Stammband, aber eben auch Substituten.

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Apropos: „Scheisstypen“ – für diese Art von Leuten gibt es meines Wissens kein vernünftiges Synonym, dassich besser singt.

MH Du hast Germanistik studiert und arbeitest am Konzertflügel, fein, mit Reim und Versmass, darüber streut deine Frau noch Goldstaub… Da könnte man ja schnell mal schwebende Erhabenheit in dein Schaffen projezieren. Aber du bleibst ja ganz schön am Boden. „Lieder eines postmodernen Arschlochs“ hiess eines deiner (preisgekörnten) Programme.

RS Ich suche halt einfach Worte, deren Farbe und Geschmack genau das aussagt, was ich aussagen möchte. In Oesterreich wurden wir mal darauf angesprochen, dass die Postmoderne doch schon längst vorbei sei. Die heiklen Wörter sind nicht immer die Kraftausdrücke. Apropos: „Scheisstypen“ – für diese Art von Leuten gibt es meines Wissens kein vernünftiges Synonym, das sich besser singt.

Reinschauen Wortfront: Postmodernes Arschloch

MH Du hast einen Song über Salz. Einen bislang schon sehr erfolgreichen. – Salz?

RS Es war eine Vorgabe bei dem Deutsch-Französischen Liederpreis, den ich gewonnen habe: Es gab da auch einen Preis für das beste Salz-Lied (den ich ebenfalls gewonnen habe), weil das Ganze in einer alten Salz-Abbau-Gegend stattgefunden hat. Und ich fand das Thema sofort interessant. Ich liebe es, Themen zu finden, die eigentlich ganz „klein“ sind, aber doch was ganz Grosses bewirken. Ich hab auch ein Lied über Regen geschrieben und eines über Zeit. Das sind alles so Dinge, die man irgendwie als selbstverständlich ansieht, aber wenn man darüber nachdenkt, dann kommt dahinter viel zum Vorschein.

MH Auf deiner Website gibt es u.a. einen Link zu Günter Wallraff. Verstehst du dich als politischen Liedermacher?

RS Nein und Ja. Natürlich möchte ich das Leben abbilden, wie es ist oder wie ich es sehe, Menschen abbilden, wie sie sind oder wie ich sie sehe. Und das ist dann automatisch politisch, denn in Wahrheit ist alles politisch. Aber wie schon gesagt, ich verstehe mich eher als Dichter mit Haltung, als politischen Liedermacher, weil dieser Begriff halt schon sehr 1970er-Jahre geprägt ist. Aber natürlich ist Günter Wallraff als Autor ein ganz wesentlicher Stern in meinem Wertehimmel. Einer der hellsten!

MH Darf ich dich etwas Persönliches fragen?

RS ungern (lacht)

MH In deiner „Bio“ erwähnst du als erstes den Tod deines Vaters. Dort heisst es: „Roger Stein wuchs am Zürichsee, nach dem Tod seines Vaters, als Einzelkind mit seiner Mutter auf“. Liegt in diesem Ereignis oder auch in der Konstellation, in der du aufgewachsen bist ein Schlüssel zu deiner künstlerischen Entwicklung?

RS Dass ich das als erstes erwähne, liegt vor allem daran, dass es eben auch als erstes in meinem Leben passiert ist. Natürlich ist so etwas auf irgendeine Weise prägend, aber ich kann doch nicht sagen, wie es gewesen wäre, wenn es anders gewesen wär! Ich kann nur sagen, dass meine Mutter eine wunderbare alleinerziehende Mutter war. Ich habe meines Wissens jedenfalls keinen Knacks abbekommen.

(MH und RS nehmen keinen Schluck vom Bier und vom Espresso, die ihnen keiner gebracht hat und stellen Glas undTasse nirgendwo  hin.)

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Ich fange sicher auch nicht an, meine eigene Sekundärliteratur zu sein und meinen eigenen Kram zu interpretieren. Das müssen schon andere tun.

MH In deinen Songs fallen mir Sätze auf wie: „Die Spassgesellschaft ist der Sarg der Deutschen Leitkultur“: Ein Gemeinplatz, denke ich zuerst. Und dann lässt einen der Satz doch nicht mehr los. Willst du an den Tasten nicht doch die Welt retten? – Jetzt komm schon, gib’s doch endlich zu! (Grinst).

RS Ha! Da ist es wieder, das so überaus Ernsthafte! (lacht) Der Satz ist natürlich eine Art Zitat, – es ist auch ein bisschen eine Persiflage, oder vielleicht besser: eine Verdichtung der Diskussion, die zum Zeitpunkt, als dieses Lied entstand, sehr präsent war. Natürlich mache ich Lieder, weil etwas in mir drin ist, das irgendwie „raus muss“. Und ich fange sicher auch nicht an, meine eigene Sekundärliteratur zu sein und meinen eigenen Kram zu interpretieren. Das müssen schon andere tun.

MH So bleibt es also dabei: Wir sind Vögel, keine Ornithologen… – Und so gibt es für mich bei dir ja auch viele Sätze und Zeilen, über die ich eh nicht lange nachdenken mag, weil ich sie einfach zu sehr geniesse. „Der Sommer kommt von links“, ist so einer. Möge er uns alle immer wieder überraschen!

RS Siehst du, genau so möchte ich meine Sätze verstanden wissen! Vielen lieben Dank!

Info:

Roger Stein, geboren am Zürichsee, wuchs nach dem Tod des Vaters als Einzelkind allein mit seiner Mutter auf. Er erhielt seit dem achten Lebensjahr eine klassische Klavierausbildung und studierte an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien. Parallel dazu absolvierte er sowohl ein Studium der Theater- und Musikwissenschaft als auch der Germanistik an der Universität Wien und promovierte über “Das deutsche Dirnenlied”. Roger Stein hat einen vielseitigen Weg zurückgelegt, der ihn von Germanistik & Theaterwissenschaft weg, zunächst als Sänger in Opernproduktionen verschlug, danach über die Musikalische Leitung bei verschiedenen Produktionen und diverse Kompositionen im Theater und Kabarettbereich schließlich bis zum Sprechgesang führte. Seit dem Jahr 2000 arbeitet und lebt er mit Sandra Kreisler zusammen, mit der er gemeinsam das Musikprojekt WORTFRONT® gegründet hat. Im Jahr 2010 präsentiert er sein erstes Soloprogramm „Schnee von morgen” und arbeitet parallel am ersten Solo-Album, das im Februar 2011 in den Handel kommt, und komponiert ein Auftragslibretto eines Kinderstücks für die Hamburger Oper.

http://www.wortfront.de

http://www.roger-stein.com

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