Bertelsmann-Studie: Euro-Aus in Südeuropa könnte 17 Billionen kosten


Bertelsmann-Studie:
Euro-Aus in Südeuropa könnte 17 Billionen kosten

Ein Austritt von Griechenland und Portugal wäre verkraftbar. Doch wehe, wenn auch Spanien oder Italien die Euro-Zone verlassen. Eine neue Studie, die SPIEGEL ONLINE vorab vorliegt, sagt für diesen Fall massive Verluste vorher. Der mit Abstand größte Verlierer wäre Frankreich.
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Anmerkung
Quod esset demonstrandum!
DIE STUDIE – PDF [8 Seiten]
Dem dänischen Physiker und Nobelpreisträger Niels Bohr (1885-1962) wird das Zitat
„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“
zugeschrieben und trifft den Kern dieser von PROGNOS erstellten Bertelsmann-Studie.
Kommen wir zu dem Versuch einer vorläufigen Bewertung des vor Schätzungen und Simulationen strotzenden ‚Policy Briefes‘[Anm.: Die Prognos AG verwendet nicht den Begriff ‚Studie‘]:
Bei der Konzeption der Ausstiegs-Szenarien hat man vier Entwicklungen und deren Konsequenzen nach einem VIEW-Modell der Prognos AG abgeschätzt.
Mir sind einige makroökonische Modelle bekannt, das erwähnte ‚VIEW-Modell‘ gehört nicht dazu. Auf der Webseite der Prognos AG konnte ich keine Definitionen dazu finden.
Ich darf aber wohl annehmen, dass es den Initiatoren dieser ‚Bertelsmann-Prognose‘ sowie der Wirtschaftsredaktion des Spiegel’s keine Mühe bereiten wird, Grundlagen und Aufbau, Parameter und deren Gewichtung, mathematische Gleichungen und die Unterschiede zu anderen gängigen makroökonomischen Modellen in allgemeinverständlicher Terminologie zu erläutern.
Daneben wäre es sehr hilfreich, einige historische Prognosen nach diesem Modell mit den Realitäten abgleichen zu können.
Den vier Simulationsrechnungen wurden nachfolgende Annahmen zugrunde gelegt:
Man geht davon aus, dass zunächst die Finanzhilfen für Griechenland eingestellt werden, so dass es dort zu einem Staatsbankrott kommt, in dessen Folge auch eine eigene griechische Währung eingeführt wird. Der Staatsbankrott führt zu einem massiven Schuldenschnitt. Man räumt allerdings ein, dass realistischerweise heute niemand vorhersagen kann, wie groß dieser ausfallen würde.
Vereinfachend nimmt man einen 60%igen Schuldenschnitt Griechenland’s an.
Nicht berücksichtigt wurde die Möglichkeit Griechenland’s nach Wiedererlangen der eigenen Währungs-Souveränität eine Gläubiger-Konferenz bei den zuständigen Institutionen (Club de Paris, London Club) einzuberufen, den Gläubigern bspw. ein 10-jähriges Moratorium abzutrotzen und danach 20% der aktuellen €-Verpflichtungen mit der neuen Drachme per rata temporis zurückzuführen.
Bei den Konsequenzen einer Wiedereinführung der Drachme wird auf dessen enormes Abwertungspotential hingewiesen, die daraus enstehenden signifikanten Export-Chancen des Landes finden hingegen keine Erwähnung. Allerdings beklagt man massive Ausfuhr-Rückgänge der großen Export-Nationen, deren Volumina schon heute deutlich geschrumpft sind.
Im Zusammenhang mit der o.a. Gläubiger-Konferenz erübrigt sich auch der Hinweis, dass Griechenland’s €-Verpflichtungen durch die deutliche Abwertung der Drachme signifikant ansteigen würden.
Besonders hübsch fand ich in diesem Zusammenhang den Hinweis:
„Daraus resultiert dann im Ergebnis ein weltweiter Rückgang der wirtschaftlichen Aktivitäten.“
Könnte der Prognos AG entgangen sein, dass bereits heute weltweit deutliche Rezessions-Erscheinungen spürbar sind, die man mit negativen Wachstums-Tendenzen umschreibt?
Unter dem Titel „Konsequenzen der Ausstiegs-Szenarien“ werden von den getroffenen Annahmen ausgehend Konsequenzen der vier Szenarien für die weltwirtschaftliche Entwicklung im Zeitraum 2013 bis 2020 berechnet, wobei jeweils ein Vergleich zum Basis-Szenario des ‚Prognos Weltreport 2012‘ getroffen wird.
Besagter Welt Report liefert Daten und Prognosen zu nachfolgenden Größen:
  • Demografie
  • Entstehungsseite
  • Verwendungsrechnung
  • Makroökonomische Kennzahlen
weitere Details finden sich hier.
Die kumulierten Einbußen auf Basis der zahlreichen ‚Unbekannten‘ lassen sich auf Seite 5 des Papier’s in der Tabelle 2 ablesen.
Es erscheint mir müßig, die Relevanz dieser Zahlen weiter zu kommentieren.
Kommen wir zum sogenannten ‚Domino-Effekt‘ hier Ausstiegs-Szenario IV genannt, mit Griechenland, Portugal, Spanien und Italien:
Ausgehend von der Annahme, Griechenland habe die Drachme 2.0 eingeführt und erfolgreich die Gläubiger-Konferenzen absolviert und damit die Voraussetzung geschaffen, Zuwächse im Export und der Touristik (ggfls. auch im Bereich Ferien-Immobilien) zu generieren, könnte eine solche Entwicklung für die noch im Euro verbliebenen drei Staaten zu wirtschaftlichen Nachteilen bei ausgewählten Produkten eigener landwirtschaftlicher Erzeugnisse und in der Touristik führen.
Die Bevölkerungen dieser Euro-Länder würden erkennen, dass sich die zur Zeit dramatische Lage der Hellenen bei der Daseinsfürsorge (also ohne Importe) entspannen könnte.
Möglicherweise könnte sogar vereinzelt beim stabilen deutschen Mittelstand Interessen entstehen, in Griechenland einen Produktions-Standort zu eröffnen.
Zu diesem Thema sei ein kürzlich geführtes Gespräch mit der Geschäftsleitung eines bekannten deutschen mittelständischen Markenartiklers aus der Nahrungsmittel-Branche erwähnt.
Bei besagtem Unternehmen sind die Exporte nach Griechenland seit 2009 um 90% eingebrochen, wobei die Umsatzverluste auf anderen Märkten weitestgehend wettgemacht werden konnten.
Würde Griechenland die Euro-Zone verlassen und die Wiedereinführung der Drachme eine Abwertung von mind. 50% zum Rest-Euro verzeichnen, wäre das Unternehmen sofort bereit dort einen Produktions-Standort zu eröffnen.
Die dort hergestellten Markenartikel könnten sowohl in Griechenland verkauft werden, als auch in andere Märkte, die bislang nicht aus Deutschland bedient werden, gegen ‚harte Devisen‘ exportiert werden.
Ich bin mir fast sicher, dass ein solches Vorgehen keine Einzelentscheidung bleiben dürfte, auch wenn dies von Herrn Keitel (BDI) heftigst bestritten wird.
Dies könnte natürlich Begehrlichkeiten auslösen und Portugal, Spanien und ggfls. Italien auf Sicht zwingen, ebenfalls der Euro-Zone zu entsagen.
Da es sich bei diesen Ländern um höchst unterschiedliche Volkswirtschaften mit unterschiedlichsten Krisen-Ursachen handelt, sind die weiteren Entwicklungen auch nicht vergleichbar.
Portugal’s Stärken (einschl. der Azoren und Madeira) sind weitestgehend bei Dienstleistungen, Agrarwirtschaft und Touristik zu verorten. Im industriellen Bereich zählt das Land zu den weltweit führenden Nationen in der Wolframproduktion.
Eine baldige Rückkehr zum Escudo könnte einen Staatsbankrott ggfls. in Verbindung mit einem nicht näher zu quantifizierenden Schuldenschnitt zu Lasten der Gläubiger (und nicht der Steuerzahler) verhindern.
Die Folgen für Bevölkerung, Staat und ausländische Gläubiger (in der Hauptsache spanische, französische und deutsche Geldgeber) sind gesondert zu analysieren.
In Spanien sieht die Lage hauptsächlich aufgrund desolater Immobilien-Finanzierungen der Banken und dem quasi-Zusammenbruch der Bauwirtschaft völlig anders aus. Allerdings ist die Lage nicht völlig hoffnungslos und mit den richtigen Maßnahmen auch unter Aufgabe mancher Glaubensbekenntnisse (Stichwort: systemische Banken etc.) beherrschbar.
Besonders spannend finde ich die im öffentlichen Diskurs kaum beachtete Tatsache, dass Spanien’s wichtigster Ausfuhr-Handelspartner mit 17,9% aller Exporte nicht Deutschland (10,1% Ausfuhr-Anteil in 2011), sondern Frankreich ist.
Eine Rückkehr zur Peseta könnte sowohl die spanischen Deviseneinnahmen (aufgewerteter Rest-Euro oder Franc) stärken, als auch der kränkelnden französischen Wirtschaft sogenannte Währungs-Windfall’s bescheren.
Über eine Rückkehr zur Peseta dürfte sich sicher Herr Winterkorn (VW) freuen, da die Produktionskosten (bemessen in €) für die SEAT Fahrzeuge deutlich geringer ausfallen und somit die Export-Erlöse steigern könnten.
Soweit erstmal einige Gedanken zu Spanien.
In Italien sieht die Welt ganz anders aus:
Die expliziten Staatssschulden Italiens sind mit ca. 1.900 Mrd. € ähnlich hoch wie in Deutschlland (2.100 Mrd. €), allerdings ist die Wirtschaftskraft des Landes um ein Drittel geringer als die Deutschlands. Die privaten italienischen Vermögenswerte werden hingegen deutlich höher als in Deutschland eingeschätzt.
Gleichwohl gibt es zahlreiche Stimmen, die Italien ohne permanente direkte und indirekte Kredithilfen der EZB eine alsbaldige Zahlungsunfähigkeit bescheinigen.
Gerade deshalb müßte es der politische Führung des Landes ein Anliegen sein, sich von den Euro-Fesseln schnellstens zu befreien um mit der Rückkehr zur abzuwertenden Lira ihrer Export-Wirtschaft das Bad in Spumante zu ermöglichen.
Das Land hätte also durchaus die Chance mit der Rückkehr zur Lira und notwendigen Struktur- und Verteilungsveränderungen das Tal der Tränen zu verlassen.
Diese Kurzbetrachtungen lassen sich natürlich an anderer Stelle in vielerlei Hinsicht sowohl aus Sicht dieser Länder, als auch vom Blickwinkel deutscher und EU-Interessen ergänzen und vertiefen, insbesondere auch hinsichtlich potentieller Aufwertungs-Effekte.
Die im Prognos-Papier erwähnten ‚wirtschaftspolitischen Konsequenzen‘, insbesondere drohende Staatsbankrotte der vier Club-Med-Staaten, sofern deren vielfältiger Widerstand gegen notwendige Reformen nicht aufgegeben wird, erscheint in der dargebotenen Weise nicht valide zu sein.
Dies bezieht sich auch auf die erwähnten Schlussfolgerungen, die Staatsbankrotte dieser Länder würden weltweite Rezessionen auch in aussereuropäischen Volkswirtschaften auslösen.
Solche Gefahren sind, wie bereits in vielfältiger Weise an anderen Stellen ausgeführt auch heute schon erkennbar.
Die Ursachen liegen u.a. in der exorbitanten Staatsverschuldung der USA, in deren Folge ein dramatischer Niedergang existenzieller Grundbedürfnisse weiter Teile der Bevölkerung nicht mehr gegeben ist. Als Folge sind auf lange Zeit die in den letzten Jahrzehnten gefeierten Konsum-Orgien zugunsten exportierter Werkbänke in den asiatischen Raum nicht mehr denkbar.
Die Spardiktate europäischer EUROholics bewirken letztlich eine ebensolche massive Schwächung der Inlandskonjunktur in den Euro-Ländern. Die Zahl erwerbsloser oder von Transferleistungen abhängiger Menschen in Deutschland setzt sich weiter fort. Nach optimistischen Schätzungen sind alleine in Deutschland mindestens 12 Mio Menschen nicht mehr in der Lage, für die Volkswirtschaft notwendige Konsumausgaben zu tätigen. Diese Entwicklung wird sich im Hinblick auf eine fast unausweichliche Altersarmut noch deutlich verstärken.
Es dürfte nicht allzu schwer sein, die katastrophalen Folgen von massiven Einkommens- und Rentenkürzungen der Menschen in den Club-Med-Staaten zu erahnen.
Diese Prozesse müssen im Interesse der Menschen gestoppt werden!
Mit Kürzungsmaßnahmen, Rettungspaketen, dramatischer Geldmengenausweitung und Sozialisierung von Verlusten der Finanzindustrie wird dies allerdings nicht möglich sein.
Das Friedensprojekt EURO durch die „muddling-through“-Politik (zu deutsch: durchwursteln) nach ‚Gutsherren-Art‘ ist endgültig gescheitert und den Verantwortlichen fehlt der Mut, dies einzugestehen.
Es steht zu befürchten, dass die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten in schmerzhafter Weise diese Einsichten erzwingen werden.
Ich hoffe, für den Leser konnte mit diesen Gedanken zumindest ansatzweise sichtbar gemacht werden, dass der Aufmacher der Spiegel-Redaktion im Konzert mit den Ökonomie-Verstehern des Hauses Bertelsmann in der dargestellten Weise nicht wirklich das vermittelte Bedrohungspotential rechtfertigen kann.
Vielen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
Ihre Kommentare, Anregungen und Kritikpunkte sind selbstverständlich herzlich willkommen.

Ihr Oeconomicus


2 Kommentare on “Bertelsmann-Studie: Euro-Aus in Südeuropa könnte 17 Billionen kosten”

  1. koballermann sagt:

    Kurze und bündige Einordnung und Bewertung der Panik-„Studie“ aus dem Medienhaus Bertelsmann. Was eben dazu gesagt werden muss zu all dem Stuss! Vielen Dank Ökonomicus:-)

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    • Oeconomicus sagt:

      Vielen Dank für die ‚Blumen‘ werter @kob,
      ich schätze die Autoren der Prognos AG als wesentlich intelligenter ein, als dies bei dem unpräzisen Blick in eine hausgemachte ökonomische Kristallkugel zum Ausdruck gebracht wird.
      Wäre ich ein Schelm -der ich nicht bin- könnte mir der Gedanke an eine Auftragsarbeit in den Sinn kommen.
      Die Inhalte und Schlussfolgerungen halte ich für tendenziell und streckenweise nicht zu Ende gedacht.
      Insbesondere vermisse ich, wie bereits im Kommentar zum Ausdruck gebracht, die detaillierte Auseinandersetzung mit potentiellen Aufwertungseffekten des ‚Rest-Euro’s‘, welche nach Austritt von Ländern ohne echtes eigenes Geschäftsmodell (Griechenland und weitestgehend auch Portugal), zutage treten könnten.
      Es steht zu befürchten, dass die geschätzten Politiker und Lobbyisten des EUROholics-Clubs mit diesem Papierchen mit der Duftnote der segensreichen Bertelsmann-Stiftung wild umherfuchteln und zum ökonomischen Katechismus erklären werden.
      Die wirklichen Probleme von Staatsverschuldung sowie die Wechselwirkungen weltweiter Rezessionserscheinungen werden ebenso wie plausible Lösungsansätze zur Stabilisierung der Euro-Zone auch weiterhin ausgeblendet.
      Was uns allen bleibt, ist uns am dem Grundsatz von Mel Brooks “Hope for the best, expect the worst” zu orientieren, dabei höchst wachsam zu bleiben und zwischenzeitlich die angenehmen Dinge des Lebens nicht zu vergessen.
      herzlichst
      Oeconomicus

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