Flagge zeigen?

Arabisches Cafe in Berlin-Neukölln zur EM 2012
Foto: Kultur-Kanal

Wenn wir auf den Straßen und in Cafés und Supermärkten einem vermehrten Auftreten der Farben Schwarz-Rot-Gold ausgesetzt sind, dann näheren wir uns nicht etwa dem Datum des 3. Oktobers und somit dem Tag der Deutschen Einheit. Nein, das Phänomen der Repräsentation von Deutschland- Butter, Germany–Kuchen und Auto-Wimpeln ist seit 2006 ein Verdienst der Fußball Weltmeisterschaft.

Heute beginnt für Deutschland die Fußball EM in Polen und der Ukraine. In Lemberg, dem heutigen Lwiw, werden die deutsche und portugiesische Nationalmannschaft um 20.45 aufeinandertreffen.

Schon seit Tagen erwartet Neukölln dieses Ereignis mit bunt geschmückten Balkonen und Häuserfassaden. Auch in diesem Jahr haben wieder viele türkische und arabische Läden auf und um die Sonnenalle ihre Geschäfte und Wohnhäuser mit deutschen Flaggen bekleidet. 2010 führte dies zu einem wahren Kleinkrieg, der nicht nur internationale Berühmtheit errang, sondern zu einer regelrechten Diskussion um vermeintlich gefährlichen Nationalstolz und Integration führte.

Ein Rückblick: 2010 hisste der Libanese Youssef Bassal die größte Deutschlandflagge des Landes über seinem Elektroladen auf der Sonnenalle. Die Fahne war insgesamt 85 qm groß und maß 17X5 Meter. Schnell wurde die Riesenfahne zu einem begehrten Objekt von Übergriffen, die der linksautonomen Szene zugeschrieben wurden.

Die erste Fahne wurde in einer nächtlichen Aktion vom Laden gerissen. Bassal widersetzte sich dem Übergriffen und hisste eine zweite Riesenflagge, die ihn erneut 500 € kostete. Diese wurde angezündet. 3 Fahnen und 1500 € später entschied sich Bassal letztlich zur Einrichtung einer Fahnen-Nachtwache, die seinen Laden vor weiteren Übergriffen schützen sollte. Außerdem hisste er seine Flagge nur noch zu Spieltagen. Youssef Bassal berichtete von einer vermummten Frau, die eines Tages in seinem Laden auftauche und ihn fragte, warum er die Flagge so beharrlich verteidige? Außerdem fragte sie, warum er die deutsche Gesellschaft so provoziere? Sei ihm nicht klar, dass er mit seinem Verhalten den Geist des Nationalsozialismus in den Menschen erwecke?

Zu dieser Zeit war Bassal schon längst zu einem regelrechten Medienstar mutiert und gab beinahe täglich Interviews vor laufenden Kameras. Die Flagge sei für ihn ein Symbol des Dankes an Deutschland, das ihm vor 20 Jahre eine neue und sichere Heimat gegeben hätte. Warum er damit ein Zeichen für gefährlichen Nationalismus setze verstände er nicht.

Doch welche reelle Gefahr geht wirklich von einem schwarz-rot- goldenen Plastikfähnchen aus?

Die Antifa Neukölln äußerte sich im Zuge der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2010 in ihrem Internetforum empört über den angeblichen unverkrampften deutschen Patriotismus, der mit seinen „schwarz-rot-goldenen Lumpen“ das Stadtbild verunreinige. Den Menschen werde ein hipper und harmloser Nationalismus verkauft und Mitbürger wie Bassal seien zu Musterbeispielen integrationsfähiger Migranten stilisiert. Niemand beachte dabei jedoch die Gewalt, die von diesem „Fußball-Nationalismus“ ausgehe. Schließlich sei, nach ihren Aussagen, ein Zusammenhang zwischen rechter Gewalt und Fußball bereits wissenschaftlich bewiesen worden. Weiterhin kritisierte sie vor allem den Begriff der Integration, der nicht hinreichend reflektiert werden würde. Dieser sei kein erstrebenswerter Zustand, sondern ein Disziplinierungsinstrument, der Menschen zur Anpassung zwänge und im Zuge eines Scheiterns aus der Gesellschaft ausschließe.

Unter dem Namen „Kommando Boateng“ riefen linksautonome Gruppen im Internet zum Fahnenklau auf. Für die unterschiedlichen Größen von Fahnen erhielt man unterschiedliche Punktzahlen. Laut Internet war die Fahne von Elektroladenbesitzer Bassal mit 110 Punkten ausgeschrieben. Der Name des Kommando Boateng geht zurück auf das Foul des Ghanaer Boateng auf den deutschen Nationalspieler Michael Ballack, der aufgrund seiner Folgeverletzung zur Fußball-WM ausschied.

Sie rechtfertigten ihre Aktionen wie folgt:

Die Aktion richtet sich gegen den eventabhängig aufkommenden Patriotismus in Deutschland. Sei es Lena, WM oder die Papstwahl, Deutschland zu feiern scheint nur möglich, wenn es nicht wirklich um Deutschland geht. Es scheint als sehnten sich die Deutschen nach einer Identifikationsgrundlage, die es ermöglicht den deutschen Staat und seine Vergangenheit in den Hintergrund treten zu lassen. Doch Gegenwart und Geschichte kann nicht verdrängt werden.“

Ob Neukölln in diesem Jahr ein ähnlicher Flaggenkrieg erwartet ist fragwürdig. Bisher schmücken etliche Flaggen die Neuköllner Sonnenalle, aber die Riesenflagge aus dem Jahr 2010 hat Elektroladenbesitzer Bassal in diesem Jahr noch nicht gehisst.

Zu hoffen bleibt zumindest, dass eine möglich Diskussion um deutsche Flaggen und Fußball-Patriotismus in diesem Jahr friedlich bleibt. Denn scheint es doch äußerst fragwürdig, das Schmücken von Autos und Hausfassaden in schwarz-rot-gold mit einem Aufkeimen eines allgemein deutschen Nationalismus gleichzusetzen, der es ermögliche die deutsche Vergangenheit zu verherrlichen. Vielmehr scheinen Fahnen und Flaggen ein Ausdruck wachsender Vorfreude und sollten auch als solches respektiert werden.

Natürlich gibt es im Fußball Probleme, die Bereiche von Rechtsextremismus und Homophobie berühren, die deutlich abgelehnt und vermieden werden sollten. Kritik ist an dieser Stelle nötig und darf vehement eingefordert werden. Doch sollte man nicht den Fehler machen, den Großteil der friedlichen Fans mit radikalen Randgruppen gleichzusetzen, indem man Fußball ein generell rechtes Potenzial unterstellt.

Zu sehr überwiegt doch die Freude an fairen Spielen, die begleitet wird von einer freundschaftlichen und sportlichen Rivalität und die EM deshalb für viele zur spannendsten Nebensache der Welt macht.

Quellen:

http://neukoelln.antifa.net
http://fahnenflucht.blogsport.eu/2010/06/23/kommando-kevin-prince-boateng-berlin-ost-fuhrt/
http://www2.de.indymedia.org/2010/06/284773.shtml
http://www.zeit.de/sport/2010-06/wm-deutschlandfahne-autonome
http://www.zeit.de/2010/27/Tuerken-Linke-Berlin

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